Leitsatz (amtlich)

1. Der Arzt, der anstelle des eine Geburt betreuenden Belegarztes, absprachegemäß die Geburt weiter leitet, ist als Vertreter des Belegarztes dessen Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfe, auch wenn er selbst Belegarzt des Krankenhauses ist.

2. Die Hebamme ist nach der Übernahme der Geburtsleitung durch den Arzt Erfüllungs- und Verrichtungsgehilfin des Belegarztes, zu dem die Gebärende vertragliche Beziehungen hat, auch wenn ein anderer Belegarzt als dessen Vertreter tatsächlich tätig ist.

 

Verfahrensgang

LG Rottweil (Aktenzeichen 2 O 624/98)

 

Tenor

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Rottweil vom 30.09.99 – 2 O 624/98 – wird

zurückgewiesen.

2. Von den Kosten der Berufung tragen die Klägerin 1/8, die Beklagten als Gesamtschuldner 7/8.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagten dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung von 400.000,00 DM abwenden, wenn nicht die Klägerin vor Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Wert der Berufungen:

der Beklagten

350.000,00 DM;

der Klägerin bis zur Rücknahme

50.000,00 DM;

Beschwer der Beklagten:

über 60.000,00 DM.

 

Tatbestand

Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung während ihrer Geburt geltend. Die Beklagten betreiben in Horb als niedergelassene Ärzte eine Gemeinschaftspraxis für Frauenheilkunde. Beide sind – der Beklagte Ziff. 1 seit 1986, die Beklagte Ziff. 2 seit 1990 – Belegärzte am Hl. Geist Krankenhaus Horb, ebenso der an der Geburt beteiligte Gynäkologe Dr. Fridrich.

Die Mutter der Klägerin – damals 36 Jahre alt – befand sich wegen ihrer vierten Schwangerschaft in ärztlicher Behandlung bei den Beklagten; sie wurde regelmäßig vom Beklagten Ziff. 2 betreut. Errechneter Geburtstermin war der 24.04.93. Die Schwangere war bei 98,7 kg und einer Körpergröße von 163 cm in der 14. SSW übergewichtig. Nach zunächst komplikationslosem Verlauf erhielt sie im März 1993 erhielt ein blutdrucksenkendes Mittel (Beloc mite) verordnet. Am 15.04. und 20.04.93 klagte die Mutter der Klägerin in der Sprechstunde jeweils über Kopfschmerzen; der Blutdruck wurde am letzten Termin mit 160/100 und 155/90 gemessen. Unter der Annahme einer Schwangerschaftsgestose ordnete der Beklagte Ziff. 2 für den Folgetag die Vorstellung der Mutter im Krankenhaus an, um über die stationäre Aufnahme zur Einleitung der Geburt zu entscheiden.

Die Aufnahme erfolgte am Mittwoch, den 21.04.93 um 09.30 Uhr „wegen E-H-Gestose”. Der Beklagte Ziff. 2 befand sich an diesem Tag auf einer Fortbildungsveranstaltung; er wurde durch die Beklagte Ziff. 1 vertreten. Die Mutter der Klägerin war darüber informiert. Bei der Erstuntersuchung ergab sich ein Blutdruck von 150/100.

Die Beklagte Ziff. 1 verabreichte zur Einleitung der Geburt eine Tablette Minprostin und legte einen Oxytocintropf an.

Unter dem Hinweis darauf, daß die Behandlung nunmehr Dr. Fridrich übernehme, verließ die Beklagte Ziff. 1 um 12.30 Uhr das Krankenhaus. Die Beklagte Ziff. 1 und Dr. Fridrich hatten sich am Vormittag bei Operationen gegenseitig assistiert. Die Mutter der Klägerin kannte Dr. Fridrich; er hatte 1988 die Geburt des dritten Kindes durchgeführt, als der Beklagte Ziff. 2 im Urlaub war. Maßgeblich für diese Handhabung in der Vertretung war die mit dem Belegarztkollegen Dr. Fridrich seit langem bestehende Vereinbarung, daß er am Mittwochnachmittag die Patienten der Beklagten und diese am Donnerstag nachmittag die Patienten des Dr. Fridrich auf der Station mitbetreuten. Die Dienstaufteilung – einschließlich der Regelung der Nacht- und Wochenenddienste, die ebenfalls zwischen den Beklagten und Dr. Fridrich wechselt, – wird den Patienten üblicherweise im Laufe der Schwangerschaftsberatung bekannt gemacht.

Die Mutter der Klägerin befand sich am Nachmittag zunächst weiter in, der Obhut der diensthabenden Hebamme Andrea Singer. Sie kontrollierte Blutdruck und CTG. Um 14.08 Uhr stellte sie wegen „Neigung zu Dauerkontraktionen” den Wehentropf ab. Dr. Fridrich untersuchte die Mutter der Klägerin um 15.00 Uhr; der Blutdruck betrug 140/90 bzw. 150/90 links bzw. rechts. Danach entfernte er sich wieder. Die Hebamme kontrollierte weiter den Blutdruck, zunächst um 15.40 Uhr und ab 16.45 Uhr in stündlichem Abstand; ferner bewertete sie das CTG, das um 15.00 Uhr als „eingeengt, undulatorisch” eingestuft wurde, um 15.40 Uhr als „undulatorisch” und um 17.20 Uhr erneut als „eingeengt, undulatorisch”. Dieser Befund verschlechterte sich weiter. Um 17.20 Uhr erhielt die Klägerin ein blutdrucksenkendes Mittel (1 Tabl. Beloc mite). Um 17.45 Uhr wurde der Blutdruck mit 155/105 gemessen. Um 18.10 Uhr kamen „Wehen jede Minute”. Um 18.35 Uhr sprang die Fruchtblase spontan. Dabei entleerte sich grünes Fruchtwasser. Zu diesem Zeitpunkt hatte eine andere Hebamme, Frau Starke, den Dienst angetreten. Bei starken Wehen sind ab 18.50 Uhr Dezelerationen vom Typ Dip I vermerkt, ab 19.00 Uhr anhaltende Dezelerationen. Das Bewußtsein der Mutter der Klägerin trübte sich ein. Die Heba...

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