Leitsatz (amtlich)

Mithaftung (hier 20 %) des von hinten auffahrenden Fahrzeugs nach sorgfaltswidrigem Wechsel des vorausfahrenden Fahrzeugs auf die Überholspur der Autobahn, wenn Unabwendbarkeit nicht nachweisbar ist und das auffahrende Fahrzeug bei Dunkelheit die Richtgeschwindigkeit von 130 kmh deutlich überschreitet.

 

Normenkette

StVG § 17 Abs. 1-2; StVO § 5 Abs. 4, § 7 Abs. 5

 

Verfahrensgang

LG Rottweil (Urteil vom 16.06.2009; Aktenzeichen 4 O 76/08)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Rottweil vom 16.6.2009 - Az. 4 O 76/08 - wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert des Berufungsverfahrens: 6.282,63 EUR.

 

Gründe

I. Der Kläger macht Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 7.8.2008 gegen 22.15 Uhr auf der A. in Fahrtrichtung S. ereignete.

Die Beklagte Ziff. 1 fuhr zum Unfallzeitpunkt mit ihrem Pkw, versichert bei der Beklagten Ziff. 2, von der Raststätte N. auf die A. ein. Gleichzeitig näherte sich von hinten der Kläger mit seinem Pkw mit einer Geschwindigkeit von mindestens 170 km/h auf der linken Fahrspur. Als die Beklagte Ziff. 1 von der Beschleunigungsspur kommend auf direktem Weg, also ohne größeres Verharren auf der rechten Fahrspur, auf die linke Fahrspur wechselte, kam es zum Auffahren des klägerischen Fahrzeuges auf das Fahrzeug der Beklagten Ziff. 1.

Der Kläger hat seinen gesamten materiellen Schaden i.H.v. 31.413,14 EUR sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1.307,81 EUR geltend gemacht. Nach Rechtshängigkeit hat die Beklagte Ziff. 2 hierauf während des erstinstanzlichen Verfahrens 20.942,10 EUR sowie auf die außergerichtlichen Anwaltskosten 1.176,91 EUR gezahlt. Insoweit haben beiden Parteien den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. In der Hauptsache hat der Kläger daraufhin die verbleibenden 10.471,04 EUR sowie außergerichtliche Anwaltskosten i.H.v. 130,90 EUR geltend gemacht.

Wegen des übrigen Sachverhalts wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil des LG Rottweil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Das LG ist nach Einholung eines schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. P. zu dem Ergebnis gelangt, dem Kläger stünden 80 % seines materiellen Schadens aus dem Verkehrsunfall als Schadensersatz zu und hat dem Kläger vor diesem Hintergrund über die bereits bezahlten Beträge hinaus weitere 4.188,41 EUR sowie außergerichtliche Anwaltskosten i.H.v. 19,52 EUR zuerkannt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

Zur Begründung hat das LG ausgeführt, die Beklagte Ziff. 1 treffe ein erhebliches Verschulden gem. § 7 Abs. 5 StVO, nachdem sie mit ihrem Fahrzeug auf die linke Fahrspur gewechselt habe, obwohl das Fahrzeug des Klägers für sie erkennbar gewesen sei. Hinzu komme der Wechsel auf die linke Fahrspur ohne größeres Verharren auf der rechten Spur. Ein solches Verhalten sei zwar nach der StVO grundsätzlich nicht verboten. Die Beklagte Ziff. 1 habe sich aber bewusst sein müssen, dass ein solch riskantes Verhalten durch eine weiter gesteigerte Sorgfalt auszugleichen sei. Dieser Anforderung sei die Beklagte Ziff. 1 in keiner Weise nachgekommen.

Ein Verschulden des Klägers sei hingegen nicht feststellbar. Mangels einer Geschwindigkeitsbeschränkung sei die von ihm gefahrene Geschwindigkeit von mindestens 170 km/h nicht verboten gewesen. Bei dieser Geschwindigkeit sei der Unfall für den Kläger auch unvermeidbar gewesen.

Auf ein unabwendbares Ereignis gem. § 17 Abs. 3 StVG könne sich der Kläger jedoch nicht berufen, weil er nicht den Nachweis geführt habe, dass der Unfall auch bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h unvermeidbar gewesen wäre. Der Kläger müsse sich daher die Betriebsgefahr seines Fahrzeuges zurechnen lassen.

Es sei nicht angezeigt, die Betriebsgefahr auf der Seite des Klägers gänzlich zurücktreten zu lassen, da der Kläger die Richtgeschwindigkeit erheblich überschritten habe. Vielmehr sei eine Haftungsverteilung von 80 % zu 20 % zugunsten des Klägers angemessen.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger, der mit seiner Berufung die übrigen 20 % seines materiellen Schadens geltend macht.

Zur Begründung führt der Kläger aus, dass das LG zu Unrecht den Unfall nicht als ein für den Kläger unabwendbares Ereignis angesehen habe. Der Sachverständige habe ausgeführt, dass unter Zugrundelegung einer gefahrenen Geschwindigkeit von 170 km/h der Unfall für den Kläger selbst bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h nicht vermeidbar gewesen sei.

Aber selbst wenn man nicht von einer Unvermeidbarkeit des Unfalles für den Kläger ausgehe, sei die vom LG vorgenommene Abwägung der beiderseitigen Verursachungs- und Verschuldensanteile rechtsfehlerhaft und daher zu beanstanden. Bei Berücksichtigung aller relevanten Aspekte des Unfalles habe die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges im Hinblick auf das alleinige gravierende Verschulden der Beklagten Zif...

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