Verfahrensgang

LG Tübingen (Aktenzeichen 4 O 440/20)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Tübingen vom 23.04.2021 - 4 O 440/20 - aufgehoben.

Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch die Beklagte hinsichtlich der Kosten durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 Prozent des nach den Urteilen vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird zugelassen.

Streitwert: 8.333,33 Euro.

 

Gründe

I. Der Kläger betreibt ein afrikanisches Restaurant. Er macht Ansprüche gegen die Beklagte aus einer bei dieser genommenen Betriebsschließungsversicherung geltend.

Die "Bedingungen der Beklagten für die Betriebsschließungs-Pauschalversicherung Gewerbe (BBSG 19)" bestimmen unter anderem Folgendes:

"1 Gegenstand der Versicherung

Ist der versicherte Betrieb von behördlichen Anordnungen (siehe Ziffer 3) aufgrund des Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung von Infektionskrankheiten beim Menschen (Infektionsschutzgesetz - IfSG) betroffen, ersetzt der Versicherer den dadurch entstandenen Schaden. ...

...

3 Versicherte Gefahren und Schäden

3.1 Behördliche Anordnungen zu Schließung, Desinfektion und Tätigkeitsverboten

Der Versicherer leistet bis zu den in Ziffer 9 genannten Entschädigungsgrenzen Entschädigung, wenn die zuständige Behörde aufgrund des Infektionsschutzgesetzes beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (siehe Ziffer 3.4)

3.1.1 den versicherten Betrieb oder eine versicherte Betriebsstätte zur Verhinderung der Verbreitung von meldepflichtigen Krankheiten oder Krankheitserregern beim Menschen nach Ziffer 3.4 ganz oder teilweise schließt; Tätigkeitsverbote gegen sämtliche Betriebsangehörige eines Betriebs oder einer Betriebsstätte werden einer Betriebsschließung gleichgestellt (Schließung)

...

3.4 Meldepflichtige Krankheiten und Krankheitserreger im Sinne dieser Bedingungen sind die im Infektionsschutzgesetz in den §§ 6 und 7 namentlich genannten Krankheiten und Krankheitserreger, ausgenommen sind jedoch humane spongiforme Enzephalopathien nach § 6 (1) 1.d) IfSG.

..."

In einem Anhang zu den BSSG 19 ist ein Auszug aus dem Infektionsschutzgesetz abgedruckt (mit §§ 6, 7, 25, 29, 42 IfSG).

Durch die Verordnung über die Ausdehnung der Meldepflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG und § 7 Abs. 1 Satz 1 IfSG auf Infektionen mit dem erstmals im Dezember 2019 in der Volksrepublik China aufgetretenen neuartigen Corona-Virus, die am 01.02.2020 in Kraft getreten ist, wurde die Meldepflicht nach § 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IfSG auf den Verdacht einer Erkrankung, die Erkrankung sowie den Tod in Bezug auf eine Infektion, die durch (SARS-CoV-2) hervorgerufen wird, sowie § 7 Abs. 1 Satz 1 IfSG auf den direkten oder indirekten Nachweis von SARS-CoV-2, soweit der Nachweis auf eine akute Infektion hinweist, ausgedehnt.

Der Kläger ist der Auffassung, ihm stehe ein Anspruch auf eine Leistung aus der Betriebsschließungsversicherung zu. Er hat in erster Instanz einen Anspruch für den Zeitraum vom 21.03.2020 bis zum 20.04.2020 erhoben und die Zahlung von 8.333,33 Euro nebst Zinsen und vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten beansprucht. Die Beklagte, die die Abweisung der Klage beantragt hat, hat einen Anspruch des Klägers in Abrede gestellt.

Wegen des Vortrags der Parteien in erster Instanz wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung sowie die dort gewechselten Schriftsätze verwiesen.

Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 8.333,33 Euro nebst Zinsen seit Rechtshängigkeit verurteilt. Dazu hat es unter anderem ausgeführt, ein Versicherungsfall gemäß Ziff. 3.1. BSSG 19 sei eingetreten. Der versicherte Betrieb sei aufgrund der Verordnungen der Landesregierung vom 16./20.03.2020 geschlossen worden.

Darauf, ob die Betriebsschließung formell und materiell rechtmäßig angeordnet worden sei, komme es nicht an. Die Auslegung der BBSG 19 ergebe nicht, dass die formelle und materielle Rechtmäßigkeit der Anordnung Voraussetzung für den Eintritt des Versicherungsfalles sei. Dass Leistungen im Rahmen eines Außer-Haus-Verkaufs bei Gaststätten von der Untersagung ausgenommen gewesen seien, sei unerheblich. Zum einen habe der Kläger davon keinen Gebrauch gemacht. Zum anderen ist auch eine teilweise Betriebsschließung durch den Versicherungsvertrag erfasst. Die Auslegung der Versicherungsbedingungen ergebe nicht, dass nur eine Betriebsschließung, die aufgrund einer betriebsinternen Gefahr angeordnet werde, zu einem Versicherungsschutz führe.

Die Anordnung der Betriebsschließung sei aufgrund des Infektionsschutzgesetzes beim Auftreten meldepflichtiger Krankheiten oder Krankheitserreger (Ziff. 3.1 BBSG 19) erfolgt. Die Auslegung von Ziff. 3.4 BBSG 19 führe zu dem Ergebnis, dass der verständige Versicherungsnehmer nach dem Wortlaut der Versicherungsbedingu...

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