Leitsatz (amtlich)

1. In einer psychiatrischen Klinik sind konkrete Maßnahmen zum Schutz eines Patientin bei erkennbarer akuter oder konkreter Selbstmordgefahr erforderlich. Eine akute Selbstmordgefahr ergibt sich nicht schon daraus, daß der Patient vorsorglich auf die geschlossene Station aufgenommen worden ist.

2. Ist eine akute Selbstmordgefahr nicht erkennbar, muß die Klinik nicht unverzüglich nach einem Patienten fahnden, der nicht wie vereinbart nach einem unbegleiteten Ausgang auf dem Klinikgelände zurückkommt.

 

Verfahrensgang

LG Stuttgart (Aktenzeichen 15 O 270/98)

 

Tenor

I. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Landgerichts Stuttgart vom 20.08.1999 – 15 O 270/98 – wird

zurückgewiesen.

II. Die Kläger tragen die Kosten ihres Rechtsmittels.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschwer der Kläger:

unter 60.000,00 DM

Streitwert:

Berufungsantrag Ziff. 1

12.000,00 DM

Berufungsantrag Ziff. 2

20.000,00 DM

Berufungsantrag Ziff. 3

8.000,00 DM

Summe

40.000,00 DM

 

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadensersatz nach ärztlicher Behandlung.

Frau Gabriele Schönenberg-Zeidler, die Ehefrau des Klägers Ziff. 1 und Mutter der Klägerin Ziff. 2, wurde am 10.08.1995 von der Fachärztin für Psychiatrie Dr. S. wegen akuter psychischer Dekompensation und Suizidialität in die psychiatrische Klinik des B. hospitals St. eingewiesen, dessen Trägerin die Beklagte Ziff. 1 ist. Bei der Aufnahmeuntersuchung wurden ein depressives Syndrom und latente Suizidalität diagnostiziert. Frau S. Z. wurde als Privatpatientin des Beklagten Ziff. 2, der Chefarzt der psychiatrischen Klinik des B. hospitals St. ist, auf der geschlossenen Station aufgenommen. Am 11.08.1995 besprach der Beklagte Ziff. 2 mit ihr, daß sie über das Wochenende auf der geschlossenen Station bleiben solle, er ordnete außerdem an: „Kein Ausgang”. Zu einem internistischen Konsil am 11.08.1995 im B. hospital und einem augenärztlichen Konsil am 14.08.1995 im K. hospital wurde Frau S. Z. von Pflegekräften begleitet. Für den 14.08.1995 ist im ärztlichen Verlaufsbericht vermerkt, daß Frau S. -Z. Suizidalität verneint habe und mit ihr besprochen worden sei, sie am Nachmittag des 15.08.1995 auf die offene Privatstation des Beklagten Ziff. 2 im B. hospital zu verlegen. Sie erhielt ab dem 14.08.1995 das Antidepressivum Ludiomil. Am 15.08.1995 wurde ihr ein Ausgang von 2 × 15 Minuten alleine gestattet, außerdem durfte sich Frau S. Z. für eine halbe Stunde die offene Privatstation ansehen. Dazu verließ sie um 10.00 Uhr die geschlossene Station. Nachdem die Patientin um 10.30 Uhr nicht zurückgekehrt war, erkundigte sich ein Mitarbeiter der geschlossenen Station um 10.45 Uhr und um 11.00 Uhr bei der Privatstation nach der Patientin und erhielt jeweils die Auskunft, daß diese noch nicht eingetroffen sei. Frau S. Z. stürzte sich zwischen 11.00 Uhr und 11.15 Uhr aus einem Fenster im 13. Stock des Personalgebäudes auf dem Gelände des B. hospitals und verstarb.

Die Kläger haben vorgetragen, der Tod von Frau S. Z. sei darauf zurückzuführen, daß die verantwortlichen Ärzte die vorhersehbare suizidale Handlung nicht durch geeignete Schutzmaßnahmen abgewendet hätten. Insbesondere sei es grob fehlerhaft gewesen, der Patientin zu gestatten, die geschlossene Abteilung ohne Begleitung zu verlassen. Außerdem sei um 10.45 Uhr sofort eine Suchaktion zu veranlassen gewesen. Sie seien durch den Tod von Frau S. Z. in einem Ausmaß psychisch beeinträchtigt worden, das über eine normale Trauerreaktion hinausgegangen sei, so daß sie sich hätten in ärztliche Behandlung begeben müssen.

Die Kläger haben beantragt,

  1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an die Kläger ein der Höhe nach in das Ermessen des Gericht gestelltes Schmerzensgeld nebst 4 % Zinsen ab Rechtshängigkeit zu bezahlen,
  2. die Beklagten zu verurteilen, an den Kläger Ziff. 1 ein Schmerzensgeld in Höhe von 12.000,00 DM nebst 4 % Zinsen ab Rechtshängigkeit zu bezahlen,
  3. die Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin Ziff. 2 ein Schmerzensgeld von 20.000,00 DM nebst 4 % Zinsen hieraus ab Rechtshängigkeit zu zahlen,
  4. festzustellen, daß die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, den Klägern sämtlichen materiellen Schaden zu ersetzen, der diesen daraus entstanden ist und künftig noch entsteht, daß die Ehefrau des Klägers Ziff. 1 und Mutter der Klägerin Ziff. 2 am 15.08.1995 in der psychiatrischen Klinik des Bürgerhospitals Stuttgart durch Fenstersprung ums Leben gekommen ist, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie haben vorgetragen, die Selbsttötung sei für die behandelnden Ärzte nicht vorhersehbar gewesen. Die Patientin habe sich in mehreren Therapiegesprächen glaubhaft von ihrer Suizidabsicht distanziert. Es sei deshalb nicht fehlerhaft gewesen, ihr das Verlassen der geschlossenen Station ohne Begleitung zu gestatten. Eine Suchaktion sei aus diesem Grund nicht erforderlich gewesen, nachdem die Patientin bis 11.00 Uhr auf ...

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