Entscheidungsstichwort (Thema)

konventionsgemäße Auslegung. nichteheliches Kind. Gleichbehandlung

 

Leitsatz (amtlich)

1. In Nachlasssachen ist bei der Anwendung der Übergangsvorschrift des Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGG RG zu beachten, dass es sich bei dem Erbscheinserteilungsverfahren gem. § 2353 BGB um ein ausschließliches Antragsverfahren handelt, das erst durch den Eingang des Antrags beim Nachlassgericht eingeleitet wird.

2. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EuGHMR) hat am 28.5.2009 (FamRZ 2009, 1293) auf eine Individualbeschwerde entschieden, dass die in Art. 12 I § 10 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder (NEhelG) enthaltene Regelung, nach der die vor dem 1.7.1949 geborenen nichtehelichen Kinder von der gesetzlichen Erbfolge nach ihrem Vater ausgeschlossen sind, gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 14 i.V.m. Art. 8 EMRK verstößt. Die vorrangige Pflicht der deutschen Gerichte zu einer konventionsgemäßen Auslegung von Art. 12 I § 10 Abs. 2 Satz 1 NEhelG erfordert entsprechende Auslegungs- und Abwägungsspielräume, die bei der genannten Vorschrift nicht gegeben sein dürften. Zumindest zwingt der vorliegend zu beurteilende abweichende Sachverhalt nicht zu einer solchen Auslegung. Die Rechtsbeschwerde ist wegen der Problematik der "völkerrechtskonformen" Auslegung der Vorschrift zugelassen.

 

Normenkette

FGG-RG Art. 111 Abs. 1 S. 1; FamFG §§ 58 ff.; NEhelG Art. 12 Abs. 1 § 10 Abs. 2 S. 1; EMRK Art. 14 i.V.m. Art. 8; FamFG § 58 ff.; NEhelG Art. 12 I § 10 Abs. 2 S. 1; EMRK Art. 14, 8

 

Verfahrensgang

Notariat Leutkirch (Beschluss vom 30.10.2009; Aktenzeichen I NG 22/2009)

 

Tenor

I. Die befristete Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Notariats Leutkirch im Allgäu I - Nachlassgericht - vom 30.10.2009 - I NG 22/2009, wird zurückgewiesen.

II. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

III. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Beschwerdewert: 34.890,20 EUR.

 

Gründe

1. Die Antragstellerin ist das nichteheliche und einzige Kind des Bruders der Erblasserin, ..., geb. am 5.10.1909, der am 10.6.1976 verstorben ist. Die Antragstellerin wurde am 25.4.1931 geboren ... hatte am 22.5.1931 die Vaterschaft zu dem Kind anerkannt.

Die Erblasserin ist am 5.2.2009 gestorben. Im Rahmen der Amtsermittlung der gesetzlichen Erben durch das Notariat Leutkirch ergab sich, dass die Erblasserin selbst keine Kinder hatte und ihre Eltern vorverstorben waren. Es wurden ihre Geschwister und deren Nachkommen ermittelt, u.a. die Antragstellerin nach dem vorverstorbenen Bruder der Erblasserin, ihrem nichtehelichen Vater. Der Erbteil würde entsprechend dem Schreiben des Notariats vom 22.10.2009 für die Antragstellerin 1/5 aus einem Nettonachlasswert von 174.451 EUR und damit 34.890,20 EUR betragen.

Am 30.10.2009 hat die Antragstellerin beim Notariat Leutkirch die Erteilung eines Erbscheins beantragt, wonach sie gesetzliche Miterbin zu 1/5 nach der Erblasserin ist.

Das Nachlassgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 30.10.2009 zurückgewiesen. Hiergegen hat die Antragstellerin am 19.11.2009 Beschwerde eingelegt, der das Notariat nicht abgeholfen hat. Es hat die Akten am 23.11.2009 dem OLG zur Entscheidung vorgelegt.

Zur Darstellung des weiteren Sach- und Streitstandes wird verwiesen auf den angefochtenen Beschluss und die Beschwerdebegründung.

2.a) Die befristete Beschwerde der Antragstellerin ist gem. §§ 58 ff. FamFG zulässig.

Die nach dem Sterbefall am 5.2.2009 eingeleitete Erbenermittlung nach § 41 LFGG BW ist eine Verrichtung von Amts wegen. Die Erteilung eines Erbscheins setzt dagegen einen entsprechenden Antrag (§ 2353 BGB) voraus. Das Erteilungsverfahren darf nicht von Amts wegen eingeleitet werden.

Der entsprechende Antrag wurde unter Abgabe der eidesstattlichen Versicherung nach § 2356 Abs. 2 BGB am 30.10.2009 beim Notariat - Nachlassgericht - Leutkirch im Allgäu I gestellt, mithin nach dem Inkrafttreten des FamFG am 1.9.2009 (Art. 112 FGGRG). Nachdem es sich nicht um ein Amtsverfahren, sondern um ein ausschließliches Antragsverfahren handelt, ist nach Art. 111 Abs. 1 Satz 1 FGGRG das neue Recht anwendbar (Engelhardt in Keidel, FamFG, 16. Aufl. 2009, Art. 111 FGGRG Rz. 4).

Das Nachlassgericht hat den Antrag durch Beschluss gem. § 38 FamFG zurückgewiesen. Hiergegen ist die Beschwerde gem. § 58 Abs. 1 FamFG statthaft (Meyer-Holz in Keidel, a.a.O., § 58 FamFG Rz. 43 und 48). Die Antragstellerin ist gem. § 59 Abs. 2 FamFG beschwerdeberechtigt. Der Beschwerdewert ist gem. § 61 Abs. 1 FamFG erreicht und das Rechtsmittel wurde innerhalb der gesetzlichen Frist des § 63 Abs. 1 FamFG in der vorgeschriebenen Form (§ 64 Abs. 2 FamFG) beim Notariat (§ 64 Abs. 1 FamFG) eingelegt.

Nach neuem Recht ergibt sich die Zuständigkeit des OLG als Beschwerdegericht aus § 119 Abs. 1 Nr. 1b GVG n.F. i.V.m. § 23a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 2 GVG n.F., § 38 LFGG.

Der Durchführung einer mündlichen Verhandlung (§ 68 Abs. 3 Satz 2 FamFG) bedarf es nicht, da ausschließlich Rechtsfragen entscheidun...

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