Leitsatz (amtlich)

1. Zur internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte durch rügelose Einlassung gem. Art. 5 EuUntVO

2. Zur Anpassung des Bedarfs eines in der Türkei lebenden Kindes in einem Verfahren wegen Kindesunterhalts, das sich nach türkischem Recht richtet

 

Normenkette

EuUntVO Art. 3, 5; HUP Art. 3; HUÜ 1973 Art. 4 Abs. 1; türkZGB Art. 330

 

Verfahrensgang

AG Wangen (Beschluss vom 16.10.2013; Aktenzeichen 6 F 158/13)

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegner Ziff. 1 und 2 wird der Beschluss des AG - Familiengericht - Wangen vom 16.10.2013 - 6 F 158/13, abgeändert.

2. Den Antragsgegnern Ziff. 1 und 2 wird für den ersten Rechtszug unter Beiordnung von ... ratenfrei Verfahrenskostenhilfe bewilligt.

 

Gründe

I. Der Antragsteller ist der Vater des Antragsgegners Ziff. 1, geboren ..., und des Antragsgegners Ziff. 2, geb. am ...

Mit Jugendamtsurkunden vom 31.1.2007, Nr. 19/2007 und 20/2007, hat sich der Antragsteller zur Zahlung von Kindesunterhalt an beide Kinder i.H.v. 100 Prozent des Regelbetrags gem. § 1 der Regelbetragsverordnung verpflichtet. Die beiden Kinder wohnten zum damaligen Zeitpunkt in Deutschland. Im Oktober 2012 sind die Kinder mit ihrer Mutter nach ... Türkei gezogen und halten sich seitdem dort auf.

Der Antragsteller hat die Abänderung der beiden Jugendamtsurkunden dahingehend beantragt, dass er nur noch zur Zahlung von 50 % des jeweiligen Regelbetrags der dritten Altersstufe der Regelbetragsverordnung verpflichtet ist. Er hat dies damit begründet, dass der Unterhaltsbedarf der nunmehr in der lebenden Antragsgegner sich entsprechend der Ländergruppeneinteilung des Bundesfinanzministeriums auf die Hälfte des inländischen Unterhaltsbedarfs verringert habe.

Die Antragsgegner sind diesem Antrag des Antragstellers entgegengetreten und haben beantragt, diesen abzuweisen. Zur Begründung tragen sie vor, dass die Ländergruppeneinteilung des Bundesfinanzministeriums nicht herangezogen werden könne. Im Übrigen seien die Lebenshaltungskosten in ... sogar höher als in Süddeutschland. Hinzugekommen seien zudem Kosten insbesondere im Zusammenhang mit dem Besuch der türkischen Schule in ..., die den Bedarf der Kinder ebenfalls bestimmen.

Das AG - Familiengericht - Wangen hat mit Beschluss vom 16.10.2013 den Antrag der beiden Antragsgegner auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe abgewiesen. Das AG ging davon aus, dass die beabsichtigte Rechtsverteidigung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg habe, wobei es sich für die Bedarfsbemessung der Antragsgegner an der Ländergruppeneinteilung des Bundesfinanzministeriums orientierte.

II.1. Gemäß Art. 3 EuUntVO, der auch für Abänderungsanträge anzuwenden ist (Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht, 1. Aufl. 2013 C 85), besteht keine internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für den Abänderungsantrag des Antragstellers. Denn es liegt keiner der maßgeblichen, eine internationale Zuständigkeit begründenden Sachverhalte gem. Art. 3 EuUntVO vor. Insbesondere sind die Voraussetzungen von Art. 3a oder 3b nicht gegeben, da die Antragsgegner, die die unterhaltsberechtigten Personen sind, ihren gewöhnlichen Aufenthalt in der Türkei haben.

Der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts ist autonom auszulegen. Der gewöhnliche Aufenthalt einer Person ist dort, wo sie sozial integriert ist und ihren Lebensmittelpunkt, hat. Maßgebend sind die tatsächlichen Verhältnisse (BGH FamRZ 2001, 412). Angesichts ihres Wechsels in die Türkei im Oktober 2012 ist davon auszugehen, dass die Antragsgegner zu Beginn des streitgegenständlichen Zeitraumes (der Monatserste, folgend auf den Tag der Rechtshängigkeit) im Juli 2013 nicht nur ihren alten gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland aufgegeben haben, sondern auch einen neuen gewöhnlichen Aufenthalt in der Türkei begründet haben, nachdem der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse der Kinder in die Türkei verlagert worden sowie eine gewisse Dauer der Anwesenheit und eine Einbindung in die dortige soziale Umwelt, u.a. durch den Besuch der Schule zu bejahen ist.

Ein international unzuständiges Gericht eines Mitgliedstaats wird allerdings gem. Art. 5 EuUntVO zuständig, wenn sich der Antragsgegner auf das Verfahren einlässt. Als Einlassung genügt jede Verteidigungshandlung, die auf eine Klageabweisung zielt. Die Zuständigkeitsrüge ist spätestens mit der Stellungnahme zu erheben, die nach dem innerstaatlichen Verfahrensrecht des angerufenen Gerichts als das erste Verteidigungsvorbringen anzusehen ist (Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrecht C 169; BGH, NJW-RR 2002, 1357). Gemessen hieran haben die Antragsgegner, die nach Zustellung des Antrags mit Schriftsatz vom 27.6.2013 Antragsabweisung beantragt haben, sich auf das Verfahren eingelassen, wodurch die deutschen Gerichte international zuständig geworden sind. Von der rügelosen Einlassung gem. Art. 5 EuUntVO ist neben der internationalen Zuständigkeit auch stets die örtliche Zuständigkeit umfasst (Hausmann, Internationales und Europäisches Ehescheidungsrec...

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