Leitsatz (amtlich)

1. Der Begriff der gemeinsamen Betriebsstätte erfasst über die Fälle der Arbeitsgemeinschaft hinaus betriebliche Aktivitäten von Versicherten mehrerer Unternehmen, die bewusst und gewollt bei einzelnen Maßnahmen ineinandergreifen, miteinander verknüpft sind, sich ergänzen oder unterstützen, wobei es ausreicht, dass die gegenseitige Verständigung stillschweigend durch bloßes Tun erfolgt. Erforderlich ist ein bewusstes Miteinander im Arbeitsablauf, das sich zumindest tatsächlich als ein aufeinander bezogenes betriebliches Zusammenwirken mehrerer Unternehmen darstellt. Die Tätigkeit der Mitwirkenden muss im faktischen Miteinander der Beteiligten aufeinander bezogen, miteinander verknüpft oder auf gegenseitiger Ergänzung oder Unterstützung ausgerichtet sein.

2. Die Erstellung eines Baugerüstes unter Verletzung der Unfallverhütungsvorschriften ist grob fahrlässig. Stürzt ein Arbeiter bei Benutzung eines solchen Gerüstes im Bereich einer mangelhaft gesicherten Stelle ab, kommt ihm der Beweis des ersten Anscheins für die Ursächlichkeit des Verstoßes gegen die Unfallverhütungsvorschriften zugute.

3. Ein durch einen Sturz vom Dach verletzter Arbeitnehmer eines auf der Baustelle tätigen Unternehmers muss sich im Rahmen von Schadensersatzansprüchen gegen den Gerüstbauer zur Vermeidung eines gestörten Gesamtschuldverhältnisses ein Mitverschulden seines Arbeitgebers anrechnen lassen.

4. Für Organe (verfassungsgemäße Vertreter) der GmbH gilt nicht § 831 Abs. 2 BGB, sondern § 31 BGB und § 43 GmbH-Gesetz. Es haftet die juristische Person; das Organ selbst haftet grundsätzlich nicht nach § 831 Abs. 2 BGB.

 

Verfahrensgang

LG Neubrandenburg (Urteil vom 10.10.2007; Aktenzeichen 4 O 153/06)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das am 10.10.2007 verkündete Urteil des LG Neubrandenburg (4 O 153/06) - teilweise - unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen geändert und neu gefasst:

1. Die Beklagten zu 1., 4. und 5. werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger 10.340,54 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 1.807,66 EUR vom 10.6.2005 bis zum 30.6.2006, aus 2.264,67 EUR vom 1.7.2006 bis zum 30.1.2008, aus 6.813,21 EUR vom 20.12.2007 bis zum 20.2.2009 und aus 10.340,54 EUR seit dem 21.2.2009 zu zahlen.

2. Die Beklagten zu 1., 4. und 5. werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger weitere 7.500 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.6.2005 zu zahlen.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1., 4. und 5. als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger dessen zukünftige materielle und immaterielle Schäden aus dem Vorfall vom 15.9.2004 auf der Baustelle in Waren, Am Nesselberg, 32 WE Betreutes Wohnen zu 2/3 zu ersetzen, soweit diese Ansprüche nicht auf Dritte übergegangen sind.

4. Die Beklagten zu 1., 4. und 5. werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger weitere 419,80 EUR zu zahlen.

5. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits werden wie folgt verteilt:

Die Beklagten zu 1., 4. und 5. tragen gesamtschuldnerisch 75 % der außergerichtlichen Kosten des Klägers und der Streitverkündeten.

Der Kläger trägt sämtliche außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 2. und 3. und seine eigenen außergerichtlichen Kosten zu 25 %.

Die Streitverkündete hat ihre eigenen außergerichtlichen Kosten i.H.v. 25 % zu tragen.

Die Gerichtskosten tragen der Kläger zu 55 % und die Beklagten zu 1., 4. und 5. gesamtschuldnerisch zu 45 %.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Gegenstandswert des Berufungsverfahrens: 24.510 EUR.

 

Gründe

I. Der Kläger verlangt von den Beklagten Schadensersatz aufgrund eines Arbeitsunfalls vom 15.9.2004 auf der Baustelle Am Nesselberg in Waren. Zu den Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes nimmt der Senat Bezug auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils, mit dem die Klage abgewiesen wurde. Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlich geltend gemachten Ansprüche auf Zahlung von Schmerzensgeld i.H.v. 7.500 EUR, Verdienstausfall i.H.v. 13.773,26 EUR, einen Feststellungsantrag sowie einen Anspruch auf Zahlung vorgerichtlicher Anwaltskosten weiterverfolgt.

Das LG wies die Klage ab mit der Begründung, die Ansprüche des Klägers seien gem. § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII ausgeschlossen, da es sich um eine gemeinsame Betriebsstätte im Sinne dieser Vorschrift handele. Zu den Einzelheiten nimmt der Senat Bezug auf die Gründe des angefochtenen Urteils.

Der Kläger trägt zur Begründung seines Rechtsmittels vor, das LG sei rechtsirrig davon ausgegangen, dass sich die Beklagten auf eine Haftungspriviligierung wegen des Bestehens einer gemeinsamen Betriebsstätte berufen könnten. Die Voraussetzungen für einen Haftungsausschluss gem. § 106 Abs. 3, 3. Alt. SGB VII lägen nicht vor. Zwar sei der Kläger zur Erbringung der Dachdeckerarbeiten auf die Benutzung des von der Beklagten zu 1.) errichteten Gerüstes ang...

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