Leitsatz (amtlich)

1. Gesetzlicher Leistungsort und damit Erfüllungsort, der den besonderen Gerichtsstand des § 29 ZPO begründet, ist bei einem Girovertrag der Schuldnerwohnsitz zur Zeit der Entstehung des Schuldverhältnisses und nicht zur Zeit der Entstehung der einzelnen aus diesem Schuldverhältnis erwachsenen Leistungsverpflichtungen.

2. Einem Verweisungsbeschluss, der grundsätzlich unanfechtbar und für das Gericht, an das verwiesen wurde, bindend ist (§ 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO), kommt diese Wirkung ausnahmsweise dann nicht zu, wenn er als schlechterdings nicht im Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden muss, etwa weil er auf der Verletzung rechtlichen Gehörs beruht oder weil er jeder gesetzlichen Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich zu betrachten ist. Solches ist der Fall, wenn das Gericht über die Verweisung noch vor Ablauf einer zur Wahrung des Gehörs gesetzten Frist entscheidet.

 

Verfahrensgang

LG Cottbus (Aktenzeichen 2 O 17/08)

LG Stralsund (Aktenzeichen 7 O 200/07)

 

Tenor

Das LG Stralsund wird zum zuständigen Gericht bestimmt.

 

Gründe

I. Die Klägerin macht gegen die Beklagte Rückzahlungsansprüche aus einem gekündigten Girokontovertrag geltend.

Dazu trägt sie vor, sie bzw. ihre Rechtsvorgängerin, die Sparkasse S., habe am 8.11.2001 einen Girovertrag abgeschlossen mit "Herrn W. A. und Herrn D. A. in GbR, T. Straße, S.", die dort eine Pension betrieben hätten. Aufgrund erheblicher Überziehungen, die nicht zurückgeführt worden seien, habe sie - die Klägerin - der Beklagten mit Schreiben vom 13.10.2003 die gesamte Geschäftsbeziehung gekündigt und insbesondere den Saldo auf dem Girokonto fällig gestellt.

Mit Datum vom 12.1.2007 wurde auf Antrag der Klägerin ein Mahnbescheid erlassen gegen "Firma W. A.+D. A. GbR", der allerdings nicht unter der zunächst angegebenen Adresse in S., T. Straße zugestellt werden konnte, sondern am 7.2.2007 unter der Anschrift R. straße, R.-W..

Gegen den Mahnbescheid wurde - mit einer nicht leserlichen Unterschrift versehen - Widerspruch eingelegt. Dabei wurde auf dem Vordruck die Bezeichnung des Antragsgegners "W. A.+D. A. GbR" durchgestrichen und mit dem handschriftlichen Vermerk "gibt es nicht" versehen. Außerdem ist als geänderte Anschrift "K., D. straße" angegeben.

Nach Abgabe des Verfahrens an das im Mahnbescheidsantrag gem. § 690 Abs. 1 Nr. 5 ZPO bezeichnete LG Stralsund begründete die Klägerin mit Schriftsatz vom 4.12.2007 dort ihren Anspruch, beantragte die Verweisung des Rechtsstreits an das (für K. zuständige) LG Cottbus und kündigte den Antrag an, die Beklagten (gemeint sind wohl W. und D. A.) als Gesamtschuldner zu verurteilen. Auf entsprechende Nachfrage des Gerichts stellte die Klägerin mit Schriftsatz vom 20.12.2007 klar, dass Beklagte die "W. A.+D. A. GbR" - die Antragsgegnerin des Mahnverfahrens - sei.

Die klägerischen Schriftsätze vom 04.12. und 20.12.2007 wurden der Beklagten ausweislich der entsprechenden Urkunde am 29.12.2007 unter der Anschrift in R.-W. gem. § 180 ZPO zugestellt mit der Gelegenheit zur Stellungnahme zunächst nur zum Verweisungsantrag. Eine Äußerung erfolgte vorerst nicht. Allerdings ging die - scheinbar ungeöffnete - Sendung am 7.10.2008 wieder beim LG Stralsund ein, wobei auf dem Umschlag die Adresse durchgestrichen und daneben handschriftlich vermerkt war: "nicht bekannt". Ein Hinweis auf den Verfasser findet sich nicht. Mit am selben Tag bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 14.1.2008 (einem Montag) meldeten sich schließlich die Prozessbevollmächtigten der Beklagten zur Akte und beantragten die Verlängerung der Frist zur Stellungnahme zum Verweisungsantrag.

Bereits mit Beschluss vom 7.1.2008 hatte sich das LG Stralsund für örtlich unzuständig erklärt und "den Rechtsstreit auf Antrag der Klägerin gem. § 281 ZPO an das für den Wohnsitz der Beklagten zuständige LG Cottbus" verwiesen. Dieses erklärte sich - ohne vorherige Anhörung der Parteien - mit Beschluss vom 23.1.2008 ebenfalls für örtlich unzuständig und an den Verweisungsbeschluss des LG Stralsund nicht gebunden. Gleichzeitig legte es die Sache gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO dem OLG Rostock vor. Zur Begründung führte es aus, das LG Cottbus sei offenkundig nicht zuständig, weil der Wohnsitz der Beklagten klar ersichtlich nicht in seinem Bezirk liege. Stelle man auf den Sitz der Beklagten (allein der GbR) ab, sei zuständig das LG Bielefeld. Der Verweisungsbeschluss vom 7.1.2008 sei daher objektiv willkürlich.

Beide Beschlüsse wurden den Parteien jeweils bekannt gegeben. Der Senat hat den Parteien Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben, diese ist nicht genutzt worden.

II. Gemäß §§ 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2, 37 ZPO war das LG Stralsund zu bestimmen, das nach §§ 17 Abs. 1, 29 Abs. 1 ZPO zuständig ist. § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO steht dem nicht entgegen.

1. Das - von einem der beteiligten Gerichte zulässig von Amts wegen angerufene - OLG Rostock ist zur Bestimmung des zuständigen Gerichts berufen, weil sich zwei in verschiedenen Oberlandesgerichtsbezirken belegene Gerichte durch jeweils unanf...

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