Entscheidungsstichwort (Thema)

Luca II

 

Leitsatz (amtlich)

Auch in den Fällen der so genannten Notvergabe gemäß § 14 Abs. 4 Nr. 3 VgV hat der öffentliche Auftraggeber so viel Wettbewerb wie jeweils möglich sicherzustellen; er muss daher regelmäßig mehrere Angebote einholen und so mindestens "Wettbewerb light" initiieren. Tut er dies nicht, liegt ein Ermessensfehler vor. Der solchermaßen ermessensfehlerhaft ohne jeden Wettbewerb dem einzig angesprochenen Bieter erteilte Direktauftrag ist gemäß § 135 Abs. 1 Nr. 2 GWB unwirksam (Festhaltung an dem Senatsbeschluss vom 9. Dezember 2020 - 17 Verg 4/20).

 

Normenkette

GWB § 135 Abs. 1 Nr. 2; VgV § 14 Abs. 4 Nr. 3

 

Verfahrensgang

VK Mecklenburg-Vorpommern (Beschluss vom 03.06.2021; Aktenzeichen 3 VK 2/21)

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss der 3. Vergabekammer bei dem Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Gesundheit Mecklenburg-Vorpommern vom 03.06.2021 (Az.: 3 VK 2/21) unter Zurückweisung des Rechtsmittels im Übrigen teilweise abgeändert.

Es wird festgestellt, dass der streitgegenständliche - zwischen dem Antragsgegner und der Beigeladenen geschlossene - Vertrag vom 08.03.2021 über die Beschaffung der so genannten Luca-App unwirksam ist.

Dem Antragsgegner wird aufgegeben, bei fortbestehender Beschaffungsabsicht eine Vergabe unter Berücksichtigung der gesetzlichen Vorgaben durchzuführen.

2. Der Antrag des Antragsgegners auf Gestattung der Fortführung des Vertrags wird zurückgewiesen.

3. Der Antragsgegner trägt die Kosten des sofortigen Beschwerdeverfahrens vor dem Senat und des Nachprüfungsverfahrens vor der Vergabekammer einschließlich der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin. Die Beigeladene trägt ihre Kosten selbst.

4. Die Hinzuziehung rechtsanwaltlicher Bevollmächtigter durch die Antragstellerin im Verfahren vor der Vergabekammer war notwendig.

5. Der Gegenstandswert wird auf bis zu ... EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Im Februar 2021 beabsichtigte der Antragsgegner, den "Corona-Lockdown" durch einzelne Öffnungsschritte abzumildern. Nach Erfahrungen mit der Kontaktnachverfolgung auf Grundlage von Anwesenheitslisten in Papierform sollten die Lockerungen von einer effektiveren Form der Kontaktnachverfolgung begleitet werden. Mit Schreiben vom 26.02.2021 (Anlage BG2, Band I Blatt 108 f. d.A.) teilte das Bundesgesundheitsministerium den Ländern mit, dass der Bund eine deutschlandweite Lösung zur elektronischen Kontaktnachverfolgung durch die Gesundheitsämter nicht zeitnah bereitstellen werde.

Der Antragsgegner recherchierte im Internet Systeme beziehungsweise Apps zur digitalen Kontaktnachverfolgung. Die Anwendung V. der Antragstellerin fand er dabei nicht, andere Produkte sah er als nicht zuschlagsfähig an. Er beschaffte daraufhin ohne Ausschreibung und ohne Einholung weiterer Angebote mit Vertrag vom 08.03.2021 das Luca-System der Beigeladenen. Dagegen wendet sich die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren.

Bereits zuvor hatte die Antragstellerin mit E-Mails vom 07.10.2020 an den zentralen Eingang der Staatskanzlei des Antragsgegners sowie vom 04.03.2021 an die Ministerpräsidentin unter deren persönlicher E-Mail-Adresse auf ihre Anwendung hingewiesen.

Die Vergabekammer hat den Nachprüfungsantrag mit Beschluss vom 03.06.2021 - Az.: 3 VK 2/21 -, der Antragstellerin am selben Tage zugestellt, zurückgewiesen. Sie hat den Antrag für zulässig, aber unbegründet gehalten und hierbei - u.a. - darauf abgestellt, dass nur das Produkt der Beigeladenen über eine Schnittstelle zu dem von den Gesundheitsämtern genutzten Programm SORMAS - Surveillance, Outbreak Response Management and Analysis System - verfüge. Bei dieser Sachlage habe die Beigeladene unmittelbar beauftragt werden dürfen, zumal die Sache gesteigert eilbedürftig gewesen sei. Für die näheren Einzelheiten des im Nachprüfungsverfahren vor der Vergabekammer von den Beteiligten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Vorgebrachten sowie den Inhalt der dort gestellten Anträge wird auf den vorbezeichneten Beschluss Bezug genommen.

Mit ihrer am selben Tage bei dem hiesigen Oberlandesgericht eingegangenen Beschwerde vom 16.06.2021 verfolgt die Antragstellerin ihr Rechtschutzziel aus dem Nachprüfungsverfahren weiter. Insbesondere macht sie geltend, im Zeitpunkt der Auftragsvergabe seien keine Lockerungen möglich gewesen. Schon aus diesem Grund habe es an der Eilbedürftigkeit gefehlt. Für die Vergabevoraussetzungen könne es im Übrigen nicht auf den subjektiven Kenntnisstand der Vergabestelle ankommen; entscheidend sei allein, ob die jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen objektiv vorgelegen hätten. Abgesehen davon stelle sich letztlich als Ergebnis unzureichender Prüfung im Rahmen der Markterkundung dar, dass der Antragsgegner die Mängel der Luca-App nicht erkannt und die V.-App nicht berücksichtigt habe. Ihr Produkt werde bei Eingabe des Suchbegriffs "Kontaktnachverfolgung" bei Google an "prominenter Stelle" ausgeworfen. Auch die E-Mails stellten einen...

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