Leitsatz (amtlich)

1. Zur Haftungsquote nach einem Verkehrsunfall auf der Autobahn im Zusammenhang mit einem Überholvorgang des voranfahrenden Fahrzeugs wenn weder ein Verschulden des Fahrers dieses Fahrzeugs noch ein solches des Fahrers des unter deutlicher Überschreitung der Richtgeschwindigkeit (hier: 200 km/h) nachfolgenden und sodann auf das vorausfahrende Fahrzeug auffahrenden Pkw feststellbar ist.

2. Zur Bedeutung des Anscheinsbeweises bei dieser Fallgestaltung.

 

Normenkette

StVG § 17; ARV

 

Verfahrensgang

LG Osnabrück (Urteil vom 11.10.2011; Aktenzeichen 9 O 1533/11)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 11.10.2011 verkündete Urteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des LG Osnabrück abgeändert. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 45.543,83 EUR nebst Zinsen i.H.v. 4 % auf einen Betrag von 35.448,94 EUR vom 6.9.2009 bis zum 23.10.2009, i.H.v. 5 % über dem Basiszinssatz auf einen Betrag von 36.408,89 EUR seit dem 24.10.2009, auf einem weiteren Betrag von 140,54 EUR seit dem 1.6.2010 sowie auf einen weiteren Betrag von 8.994,40 seit dem 20.9.2011 zu zahlen und ihn von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten i.H.v. 1.641,96 EUR freizustellen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weiter gehende Berufung des Klägers und die Berufung der Beklagten werden zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 2/3 und die Beklagten zu 1/3.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beiden Seiten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch die jeweilige Gegenseite durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn diese nicht Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um den Ersatz von Sachschäden infolge eines Verkehrsunfalls am 5.9.2009 um 23.41 Uhr auf der Bundesautobahn A 33, Richtungsfahrbahn Osnabrück, bei Kilometer 70 im Bereich der Gemeinde Georgsmarienhütte. Für den Unfallort galten keine Geschwindigkeitsbegrenzungen.

Der Kläger war mit seinem Pkw der Marke Aston Martin Vanquish S mit dem amtlichen Kennzeichen O. seit mehreren Kilometern auf der linken von zwei Fahrspuren mit einer Geschwindigkeit von mindestens 200 km/h unterwegs. Die Höchstgeschwindigkeit dieses Fahrzeugs beträgt 321 km/h. Auf 100 km/h kann der Pkw innerhalb von 4,8 Sekunden beschleunigt werden. Das Fahrzeug wurde am 1.9.2009 auf den Kläger zugelassen.

Der Beklagte zu 2) war Halter des zu diesem Zeitpunkt von dem Beklagten zu 3) gesteuerten und bei der Beklagten zu 1) haftpflichtversicherten Fahrzeugs der Marke Nissan Micra mit dem amtlichen Kennzeichen O. Der Beklagte zu 3) fuhr zunächst auf der rechten Spur hinter einem Pkw der Marke VW Golf mit dem amtlichen Kennzeichen S. Dieser wurde von dem Zeugen E. P. gesteuert.

Der Beklagte zu 3) entschloss sich sodann, den vor ihm fahrenden VW Golf des Zeugen P. zu überholen und scherte auf die linke Fahrspur aus. Von hinten näherte sich der Kläger mit seinem Aston Martin. Er lenkte sein Fahrzeug zwischen den Fahrzeugen des Beklagten zu 2) und des Zeugen P. hindurch. Dabei kam es zur Berührung der Fahrzeuge. Der Nissan des Beklagten zu 2) drehte sich infolgedessen und kam schließlich an der Mittelleitplanke entgegen der Fahrtrichtung zum Stehen. Das Fahrzeug des Klägers geriet ins Schleudern, stieß gegen die rechte Leitplanke, drehte sich und kam auf der Fahrbahnmitte quer zur Fahrtrichtung zum Stehen.

Der Kläger ist nicht vorsteuerabzugsberechtigt.

Der Kläger hat behauptet, er habe die auf der rechten Fahrspur fahrenden Fahrzeuge des Beklagten zu 2) und des Zeugen P. bereits während seines Herannahens beobachtet. Diese seien mit gleicher Geschwindigkeit unterwegs gewesen. Erst als er die beiden Fahrzeuge fast erreicht gehabt habe, sei der Nissan unvermittelt ohne Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers auf die Überholspur gewechselt, ohne seine Geschwindigkeit "nennenswert" erhöht zu haben. Wegen seiner eigenen hohen Geschwindigkeit sei ihm ein unfallvermeidendes Abbremsen nicht mehr möglich gewesen, so dass er sich entschlossen habe, in die Lücke zwischen dem Nissan und dem VW Golf zu fahren. Während der Kläger in der Klageschrift noch behauptet hatte, die Vorderräder des Nissan hätten sich im Zeitpunkt seines Ausweichmanövers etwa in Höhe der Hinterräder des VW Golf befunden, hat er im weiteren Verlauf des Rechtsstreits unter Vorlage eines von ihm eingeholten Rekonstruktionsgutachtens angegeben, dass die beiden Fahrzeuge in diesem Moment schräg versetzt mit einem Abstand von etwa einer Fahrzeuglänge hintereinander gefahren seien. Aufgrund seiner "relativ hohen" Geschwindigkeit sei er besonders aufmerksam gewesen, was durch die Art seiner Reaktion belegt werde. Der Unfall sei für ihn unvermeidbar gewesen.

Zum Schaden an seinem Fahrzeug bezieht sich der Kläger auf ein von ihm eingeholtes Gutachten. Die darin angegebenen Zahlen (u.a. Wiederbeschaffungswert inkl. Umsatzsteuer 169.000, Euro) sind unstrei...

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