Leitsatz (amtlich)

Im Sonderkundenbereich kann ein Gasversorger das Recht zur einseitigen Preiserhöhung nicht allein dadurch begründen, dass er in seinen allgemeinen Geschäftsbedingungen auf die Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden (AVBGasV) bzw. die Verordnung zum Erlass von Regelungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung im Energiebereich (GasGVV) verweist.

Zur Inhaltskontrolle von §§ 4 AVBGasV, 5 GasGVV gem. § 307 BGB bei einer vertraglichen Einbeziehung in allgemeinen Geschäftsbedingungen.

 

Verfahrensgang

LG Oldenburg (Urteil vom 22.11.2007; Aktenzeichen 9 O 403/06)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 14.07.2010; Aktenzeichen VIII ZR 246/08)

 

Tenor

Auf die Berufungen der Kläger zu 2.) bis 10.), zu 12.), 14) bis 16.), zu 20.) bis 25.), zu 27.) bis 33.), zu 35.) bis 37.), zu 39.) bis 55.) und zu 57.) bis 66.) wird das am 22.11.2007 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des LG Oldenburg unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels geändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass die zwischen den Klägern und der Beklagten jeweils bestehenden Gasversorgungsverträge zu einem nicht höheren als dem bis dahin von der Beklagten geltend gemachten Arbeitspreis im Sondertarif I fortbestehen, und zwar für folgende Zeiträume:

  • für die Kläger zu 6.), 10.), 22.), 29.), 30.), 32.), 47.) und 54.) über den 31.08.2004 hinaus;
  • für die Kläger zu 2.), 3.), 5.), 7. bis 9.), 16.), 20.), 21.), 23.), 25.), 27.), 28.), 31.), 33.), 35.) bis 37.), 40.) bis 42.), 45.), 46.), 48.) bis 53.), 57.), 60.) bis 62.), 64.), 65.) über den 31.7.2005 hinaus;
  • für die Kläger zu 4.), 12.), 15.), 39.), 44.), 59.) über den 31.1.2006 hinaus;
  • für die Kläger zu 14.) sowie 43.) über den 31.7.2005 hinaus bis zur Preisänderung der Beklagten vom 1.8.2008;
  • für die Kläger zu 24.), 55.), 63.) über den 31.8.2004 hinaus bis zur Preisänderung der Beklagten vom 1.8.2008;
  • für den Kläger zu 58.) über den 31.1.2006 hinaus bis zur Preisänderung der Beklagten vom 1.8.2008;
  • für den Kläger zu 66.) über den 31.3.2007 hinaus.

Hiervon ausgenommen ist die Preiserhöhung zum 1.1.2007.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Kläger zu 1.), 11.), 13.), 17.) bis 19.), 26.), 34.), 38.) und 56.). Diese tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags abzuwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Die Revision gegen das Urteil wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Beklagte versorgt Endverbraucher mit Gas. Die Kläger sind Kunden der Beklagten. Die Beklagte hat seit dem 1.9.2004 in mehreren Schritten ihre Preise einseitig erhöht. Die Kläger begehren die Feststellung, dass einzelne Erhöhungen unwirksam sind.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Es führt aus, die Beklagte habe ein einseitiges Leistungsbestimmungsrecht. Obwohl die Kläger Sondertarifkunden seien, finde die Verordnung über Allgemeine Bedingungen für die Gasversorgung von Tarifkunden (AVBGasV, BGBl. I 1979, 676) und damit insbesondere § 4 AVBGasV direkte Anwendung. Unabhängig davon seien die Bestimmungen der AVBGasV auch in die Vertragsverhältnisse zwischen den Parteien wirksam einbezogen worden. Dabei sei sie als Verordnung und nicht als Allgemeine Geschäftsbedingung zu bewerten. Im Rahmen der danach gem. § 315 Abs. 3 BGB vorzunehmenden Billigkeitsprüfung sei zu berücksichtigen, dass die Beklagte ausweislich der von ihr vorgelegten Unterlagen mit den streitgegenständlichen Preisfestsetzungen nur ihre Bezugskostensteigerungen weitergegeben habe. Die Kläger hätten nicht substantiiert dargelegt, warum diese Unterlagen nicht aussagekräftig seien. Es bestehe keine Verpflichtung der Beklagten, ihre gesamten betriebswirtschaftlichen Unterlagen und insbesondere die Kalkulation des Gesamtpreises offen zu legen. Etwaige Überhöhungen des Sockelpreises, also des Preises, den die Beklagte vor den streitgegenständlichen Preisfestsetzungen verlangt habe, seien nicht zu berücksichtigen, da dieser zwischen den Parteien vereinbart worden sei bzw. vorherige Preiserhöhungen unbeanstandet hingenommen worden seien.

Ein Teil der Kläger hat das Urteil angefochten.

Die Berufungskläger meinen, die Beklagte habe weder ein wirksam vereinbartes noch ein direkt aus § 4 AVBGasV ableitbares Recht zur Erhöhung der ursprünglich vereinbarten Gaspreise. Da sie Sondervertragskunden und nicht allgemeine Vertragskunden seien, sei eine direkte Anwendung der AVBGasV nicht möglich. Eine demnach allenfalls in Betracht kommende mittelbare Einbeziehung der Regelungen der AVBGasV als Allgemeine Geschäftsbedingung sei nicht ordnungsgemäß erfolgt. Im Übrigen seien die Regelungen der AVBGasV wegen Verstoßes gegen § 307 Abs. 1 BGB nicht wirksam, da die Kläger hierdurch unangemessen benachteiligt würden. Selbst ...

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