Leitsatz (amtlich)

Keine verschärfte Aufsichtspflicht der Eltern nach Änderung des Haftungsmaßstabes für Kinder im Straßenverkehr.

 

Verfahrensgang

LG Oldenburg (Urteil vom 24.06.2004; Aktenzeichen 10 O 3029/03)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 24.6.2004 verkündete Urteil des Einzelrichters der 10. Zivilkammer des LG Oldenburg geändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Der Kläger macht Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall gegen die Beklagten geltend und nimmt diese wegen Verletzung der Aufsichtspflicht hinsichtlich ihres am Unfall beteiligten, zum Unfallzeitpunkt 9 Jahre und 10 Monate alten Sohnes in Anspruch.

Der Kläger befuhr am 14.9.2002 mit seinem Motorrad die S.-Straße in Sch. in Fahrtrichtung Wa., als plötzlich der Sohn der Beklagten mit seinem Fahrrad rechtwinklig nach links diese Straße zu überqueren versuchte. Um einen Zusammenstoß mit dem Sohn der Beklagten zu verhindern, riss der Kläger sein Motorrad herum und legte es auf die Seite. Durch den Unfall wurde das Motorrad und die Motorradkleidung des Klägers beschädigt, der Kläger wurde - wie er behauptet - durch den Unfall verletzt und war 3 Wochen arbeitsunfähig.

Den durch den Unfall entstandenen materiellen Schaden in Höhe eines Gesamtbetrages von 4.685,36 Euro und ein Schmerzensgeld von 1.000 Euro nebst Zinsen hat der Kläger gegen die Beklagten geltend gemacht.

Das LG hat der Klage nach Beweisaufnahme im Wesentlichen stattgegeben, nämlich in Höhe eines Betrages von insgesamt 5.221,32 Euro nebst Zinsen, und dazu ausgeführt, dass die Beklagten als aufsichtspflichtige Eltern nach § 832 Abs. 1 BGB für den von ihrem minderjährigen Sohn verursachten Schaden hafteten; den Beweis, dass sie ihrer Aufsichtspflicht in der gebotenen Weise nachgekommen seien, hätten die Beklagten nicht erbracht.

Gegen diese Entscheidung wenden sich die Beklagten mit der Berufung.

Von einer weiteren Darstellung des Sachverhalts wird nach §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO abgesehen.

II. Die Berufung der Beklagten ist zulässig und auch begründet.

Sie führt zur Abweisung der Klage. Der Kläger hat keinen Ersatzanspruch gegen die Beklagten als Eltern des am Unfall beteiligten Kindes K.

Ein entsprechender Schadensersatzanspruch des Klägers ergibt sich nicht aus § 832 Abs. 1 BGB.

Zwar sind die objektiven Haftungsvoraussetzungen des § 832 Abs. 1 S. 1 BGB für eine Inanspruchnahme der Beklagten als Aufsichtspflichtige erfüllt, wie das LG zutreffend auf Seite 3 des angefochtenen Urteils ausgeführt hat.

Entgegen der Auffassung des LG ist jedoch nach den hier ersichtlichen, unstreitigen Umständen und dem Ergebnis der Beweisaufnahme anzunehmen, dass die Beklagten ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt haben und, soweit eine Pflichtverletzung der Beklagten allenfalls in Betracht kommt, der Unfallschaden auch bei einer entsprechenden Pflichterfüllung seitens der Beklagten eingetreten wäre (§ 832 Abs. 1 S. 2 BGB).

Die Beklagten haben ihre Aufsichtspflicht jedenfalls nicht dadurch verletzt, dass sie ihren minderjährigen Sohn zum Unfallzeitpunkt allein ohne ihre präsente Aufsicht im öffentlichen Straßenverkehr haben Fahrrad fahren lassen.

Bei Bestimmung der rechtlichen Anforderungen an die Aufsichtspflicht von Eltern ist davon auszugehen, dass sich das Maß der gebotenen Aufsicht nach Alter, Eigenart und Charakter des Kindes, nach der Voraussehbarkeit des schädigenden Verhaltens sowie danach bestimmt, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen in der konkreten Situation an erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen treffen müssen, um Schädigungen Dritter durch ihr Kind zu verhindern (vgl. BGH v. 19.1.1993 - VI ZR 117/92, MDR 1993, 851 = NJW 1993, 1003; Palandt/Sprau, BGB, 63. Aufl., § 832, Rz. 8).

Üblicherweise werden Kinder jedenfalls zu Beginn der allgemeinen Schulpflicht mit 6 Jahren an die Teilnahme im Straßenverkehr herangeführt und gewöhnt. Dabei steht zunächst die Verkehrsteilnahme als Fußgänger und die Zurücklegung des Schulwegs ohne Begleitung der Eltern im Vordergrund. Nachdem dies erfolgreich geschehen ist, folgt üblicherweise auch die Teilnahme als Radfahrer im Straßenverkehr, und zwar auch ohne Begleitung der Eltern, nachdem das Kind das Fahrradfahren technisch beherrscht, hinreichende Fahrsicherheit gegeben ist, die wesentlichen Verkehrsregeln erlernt und die Eltern sich - insb. durch entsprechende Kontrollen - vergewissert haben, dass sie ein verkehrsgerechtes Verhalten ihres Kindes im Straßenverkehr erwarten dürfen. Es entspricht daher gesicherter Rechtsprechung, dass jedenfalls ein (fast) 8jähriges Kind, das ein Fahrrad hinreichend sicher zu fahren vermag, über Verkehrsregeln eindringlich unterrichtet worden ist und sich über eine gewisse Zeit im Verkehr bewährt hat, auch ohne eine Überwachung durch die aufsichtspflichtigen Eltern mit dem Fahrrad am Straßenverkehr teilnehmen kann, etwa um zur Schule zu fahren oder einen sonst bekannten, geläufigen Weg zurückzulegen (vgl. BGH V...

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