Leitsatz (amtlich)

1. Bei der Prüfung der Ausübbarkeit einer aufgezeigten Verweisungstätigkeit durch den Versicherungsnehmer muss die Lage auf dem Arbeitsmarkt grundsätzlich unberücksichtigt bleiben. Dies setzt aber voraus, dass für die dem Versicherungsnehmer angesonnene Tätigkeit ein Arbeitsmarkt tatsächlich existiert.

2. In Auslegung des Begriffs der "bisherigen Lebensstellung" (§ 2 BU, § 2 BUZ) unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben (§ 242 BGB) ist bei der Prüfung des Vorliegens eines Arbeitsmarktes sowohl in geographischer Hinsicht - Aspekt der Mobilität - als auch unter dem Gesichtspunkt der zu berücksichtigenden Stellen auf die Zumutbarkeit für den Versicherungsnehmer abzustellen.

3. Einem geringfügig Beschäftigen i.S.v. § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV ist wegen der damit verbundenen steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Folgen ein Wechsel auf eine sozialversicherungspflichtige Stelle in der Regel nicht zumutbar.

4. Bei der Prüfung der zumutbaren Mobilität ist bei einem geringfügig Beschäftigten i.S.v. § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV darauf abzustellen, welche tägliche Pendelstrecke ein verständiger Versicherungsnehmer unter Berücksichtigung des bisherigen Wegs zum Arbeitsplatz und der bei einem Wechsel entstehenden zusätzlichen Fahrtkosten auf sich nimmt.

 

Normenkette

VVG § 172; BGB § 242; BU § 2; BB-BUZ § 2

 

Verfahrensgang

LG Weiden i.d.OPf. (Urteil vom 17.12.2012; Aktenzeichen 11 O 405/11)

 

Tenor

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des LG Weiden i.d.OPf. vom 17.12.2012 - 11 O 405/11, abgeändert.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 17.792,58 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus 529,84 EUR seit 2.9.2009, aus weiteren 1589,52 EUR seit 2.10.2009, aus weiteren 1589,52 EUR seit 2.1.2010, aus weiteren 1589,52 EUR seit 2.4.2010, aus weiteren 1589,52 EUR seit 2.7.2010, aus weiteren 1589,52 EUR seit 2.10.2010, aus weiteren 1589,52 EUR seit 2.1.2011, aus weiteren 1589,52 EUR seit 2.4.2011, aus weiteren 1589,52 EUR seit 2.7.2011, aus weiteren 1589,52 EUR seit 2.10.2011, aus weiteren 1589,52 EUR seit 2.1.2012 und aus weiteren 1.452,57 EUR seit 3.2.2012 zu bezahlen.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte der Klägerin gegenüber aus dem Versicherungsvertragsverhältnis zur Versicherungsschein-Nummer ... die vereinbarten Leistungen der Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (Zahlung einer vierteljährlichen Rente, Beitragsbefreiung) ab dem 1.4.2012, längstens bis zum Vertragsende, zu erbringen hat.

4. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

5. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Beschluss

Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 38.342,34 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Klägerin macht Leistungen aus einer Berufsunfähigkeitszusatzversicherung geltend.

Die Klägerin unterhält bei der Beklagten unter Versicherungsschein-Nummer ... eine Lebensversicherung mit Berufsunfähigkeitszusatzversicherung (nachfolgend: BUZ), Vertragsbeginn war der 1.11.1987, als Ablaufzeitpunkt der Versicherung ist der 1.11.2031 vereinbart. Hinsichtlich der Versicherungsleistung und der Versicherungsbedingungen wird auf den Versicherungsschein vom 10.11.1987 und die vereinbarten Besonderen Bedingungen für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung ... der Beklagten (nachfolgend: BB-BUZ) Bezug genommen (Anlagenkonvolut der Klägerin, hier zum Schriftsatz vom 24.5.2013). Leistungspflicht aus der Zusatzversicherung besteht nach § 1 Abs. 1 S. 1 BB-BUZ bei mindestens 50%iger Berufsunfähigkeit, die wiederum in § 2 Abs. 1 BB-BUZ dahin definiert ist, dass die Klägerin außerstande ist, ihren Beruf oder eine andere Tätigkeit auszuüben, die aufgrund ihrer Ausbildung und Erfahrung ausgeübt werden kann und ihrer bisherigen Lebensstellung entspricht.

Die Klägerin machte am 14.9.2009 bei der Beklagten Leistungen aus der BUZ geltend, die versicherte Berufsunfähigkeitsrente belief sich zu diesem Zeitpunkt auf 1.589,52 EUR vierteljährlich bei einem Monatsbeitrag für Hauptversicherung und Zusatzversicherungen von 81,76 EUR. Die Klägerin zahlte auch nach dem Leistungsantrag die Beiträge fort, die sich ab 1.11.2009 auf 85,03 EUR und ab 1.11.2011 auf 88,43 EUR erhöhten.

Die Klägerin war in gesunden Tagen als Arzthelferin tätig im Umfang einer geringfügigen Beschäftigung i.S.v. § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV an zwei Arbeitstagen mit je 5 Stunden, wobei sie zum Arbeitsplatz in ... eine Wegstrecke von 13 km hatte. In diesem Beruf ist sie wegen einer psychischen Erkrankung, in deren Folge sie eine panische Angst vor Ansteckung mit Hepatitis oder dem HI-Virus entwickelte, seit 28.12.2006 zu mindestens 50 % berufsunfähig, die Arbeitsstelle wurde zeitnah aufgegeben.

Die Beklagte verwies die Klägerin auf eine Tätigkeit als Verwaltungsangestellte bei K...

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