Leitsatz (amtlich)

Bei deutlicher Überschreitung der Richtgeschwindigkeit auf der Autobahn (hier: 160 km/h) tritt die Haftung aus Betriebsgefahr auch bei erheblichem Verschulden des Unfallgegners regelmäßig nicht zurück.

 

Normenkette

StVG §§ 7, 17

 

Verfahrensgang

LG Nürnberg-Fürth (Urteil vom 12.03.2010; Aktenzeichen 8 O 2126/09)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des LG Nürnberg-Fürth vom 12.3.2010 abgeändert.

Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin 2.790,32 EUR nebst 5 % Zinsen, über dem Bastszinssatz hieraus seit 18.2.2009 zu bezahlen.

Die Beklagten werden weiter verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten i.H.v. 316,18 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit 18.2.2009 zu bezahlen.

Im Übrigen bleibt die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

IM. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt die Klägerin 79 % und tragen die Beklagten als Gesamtschuldner 21 %.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar,

Beschluss

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 13.561,26 EUR festgesetzt.

 

Gründe

Von der Darstellung des Tatbestands wird gem. § 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

II. Die zulässige Berufung ist teilweise begründet.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte Anspruch auf Schadensersatz für materielle und immaterielle Schäden i.H.v. 2.790,32 EUR gem. § 7 Abs. 1, § 11 Satz 2, § 17 StVG.

1. Die Haftung aus § 7 Abs. 1 StVG entfällt nur, wenn Unfall auf höherer Gewalt beruht (§ 7 Abs. 2 StVG) - was nicht ansatzweise ÜMf im Raum steht - oder für Beklagte zu 1) ein unabwendbares Ereignis war, § 17 Abs. 3 Satz 1 StVG. Als unabwendbar gilt ein Ereignis dann, wenn sowohl der Halter als auch der Führer des Fahrzeugs jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beobachtet hat (§ 17 Abs. 3 Satz 2 StVG).

Dies war aber nicht der Fall.

a) Das Erstgericht hat sich auf öer Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen Dr. GflHl davon überzeugt, dass sich das Fahrzeug der Beklagten zu 2) "mit fast 180 km/h" angenähert habe. Aufgrund der Feststellungen des Sachverständigen in Verbindung mit den Angaben der Zeugin M0. ggü. der Polizei, deren Niederschrift als Anlage K12 vorgelegt und im Verhandlungstermin vor dem Senat erörtert wurde, hat der Senat keinen Zweifel daran, dass die Beklagte zu 1) mit mindestens 160 km/h gefahren ist.

aa) Dem Sachverständigen standen als relativ "harte" AnknDpfungstatsachen die Schäden an den Kraftfahrzeugen und die Entfernung zwischen dem Ende der Einfahrtskurve und dem Kollisionspunkt zur Verfügung.

(1) Aus ersteren konnte er unmittelbar ohne Rückgriff auf Plausibilitäts- und Wahrscheinlichkeitsüberlegungen ableiten, dass

  • die Fahrzeuge sich beim Aufprall parallel hintereinander befanden, also keine Schrägstellung des Klägerfahrzeugs mehr vorlag,
  • die Geschwindigkeitsdifferenz 43 km/h +/- 4 km/h betrug und
  • sich das Beklagtenfahrzeug beim Aufprall in gebremstem (nach vome eingetauchtem) Zustand befand.

(2) Nicht mit der gleichen, allein auf technische und räumliche Umstände gestützten Gewissheit konnte der Sachverständige die Geschwindigkeiten der Fahrzeuge relativ zur Fahrbahn feststellen und die Ausgangsgeschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs vor dem Bremsbeginn,

Allein aufgrund der räumlichen Verhältnisse zur Einfahrtsspur in Verbindung mit den Eigenschaften des klägerischen Fahrzeugs konnte der Gutachter allerdings zumindest eingrenzen, dass dieses Fahrzeug zum Kollisionszeitpunkt nicht schneller als 118 km/h gefahren sein kann (dies wäre das Ergebnis einer Maximalbeschleunigung vom Beginn des Einfahrens auf die Autobahn an). Weiter konnte er die Aussage treffen, dass bei "normalem" Beschleunigungsverhalten (etwa 75 % des Maximums) das Klägerfahrzeug bei der Kollision etwa 103 km/h schnell gewesen sein müsste.

Daraus ergäbe sich eine Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs von 146 km/h +/- 4 km/h beim Aufprall.

Dann müsste die Beklagte zu 1) vor Bremsbeginn - unterstellt, sie hat, wie sie behauptet, sofort reagiert, als der Spurwechsel durch Überfahren der Spurbegrenzungslinien erkennbar wurde - mit 178 km/h +/- 4 km/h gefahren sein.

bb) Damit ist lediglich die Frage, ob das Klägerfahrzeug im Kollisionszeitpunkt bereits eine Geschwindigkeit von 103 km/h erreicht hatte, nicht allein aufgrund der vom Sachverständigen anhand objektiver Anknöpfungstatsachen durchgeführten Begutachtung vollständig zur Überzeugung des Senats feststellbar.

Nach Aussage der Zeugin H.- Beifahrerin der Beklagten zu 1) - betrug die Geschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs etwa 160 km/h. Wären es tatsächlich (nur) 160 km/h gewesen, so hätte das Fahrzeug der Klägerin lediglich eine Geschwindigkeit von etwa 85 km/h bis 90 km/h gehabt (wiederum bei Annahme der von den Beklagten vorgetragenen optimalen Reaktion der Beklagten zu 1)). Dass das Fahrzeug der Klägerin zumindest dieses Tempo hatte, steht für den Senat außer Zweifel, nachdem dann, ausgehend vom Einfahrtsstreifen, nur...

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