Leitsatz (amtlich)

1. Für die vergleichenden Wertbetrachtungen im Rahmen des § 2306 Abs. 1 BGB ist auf den Zeitpunkt des Erbfalls abzustellen (§ 2311 BGB).

2. Ein Erbe ist zur Vorlage eines notariell aufgestellten Nachlassverzeichnisses nach § 2314 Abs. 1 Satz 3 BGB grundsätzlich auch dann noch verpflichtet, wenn er auf Verlangen des Pflichtteilsberechtigten bereits ein privatschriftliches Verzeichnis erstellt hat und der Pflichtteilsberechtigte dies zunächst anerkannt hatte.

3. Wird mit der Klage oder Widerklage ein Antrag auf Vorlage eines notariell aufgestellten Nachlassverzeichnisses mit einem Antrag auf Leistungen aus dem Nachlass (hier: Erfüllung eines Vermächtnisses) verbunden, so handelt es sich nicht nur um eine objektive Klagehäufung i.S.v. § 260 ZPO, sondern - unabhängig von den Prozesserklärungen des Antragenden - um zueinander in einem Stufenverhältnis stehende Anträge, weshalb zunächst allein eine Entscheidung über den Auskunftsanspruch zulässig ist.

4. Gleiches gilt, wenn der Klageantrag (hier: Feststellung der gesetzlichen Fiktion der Nichtanordnung des Vermächtnisses) und ein Antrag der Widerklage (hier: Auskunftsanspruch des Pflichtteilsberechtigten) objektiv in einem Stufenverhältnis stehen.

 

Verfahrensgang

LG Halle (Saale) (Urteil vom 01.02.2007; Aktenzeichen 9 O 71/06)

 

Tenor

Auf die Berufung des Beklagten wird unter Zurückweisung dieser Berufung im Übrigen sowie unter Zurückweisung der Berufung des Klägers das am 1.2.2007 verkündete Urteil des LG Halle, 9 O 71/06, teilweise abgeändert und als Teilurteil nunmehr wie folgt neu gefasst:

1. Der Kläger wird verurteilt, dem Beklagten Auskunft über den Bestand des Nachlasses der am 20.2.2003 verstorbenen A.L., geb. Jn., zuletzt wohnhaft L.-straße 18, B., sowie über die in den letzten zehn Jahren vor dem Erbfall von der Verstorbenen gemachten Zuwendungen an den Beklagten oder Dritte zu erteilen durch Vorlage eines durch einen Notar aufgenommenen Vermögensverzeichnisses.

2. Die Sache wird zur Entscheidung über die Klage und die weiter gehende Widerklage an das LG Halle zurückverwiesen.

3. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsstreits einschließlich der Kosten dieses Berufungsverfahrens bleibt dem Schlussurteil vorbehalten.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 300 EUR vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen. Die Beschwer beider Prozessparteien übersteigt jeweils 20.000 EUR.

 

Gründe

I. Die Parteien streiten um den Nachlass ihrer Großmutter, A.L., geb. Jn. (künftig: die Erblasserin). Sie gehen übereinstimmend und zutreffend davon aus, dass der Kläger durch Erbschaft nach seiner Mutter, I. St., geb. L., Alleinerbe des Nachlasses der Erblasserin geworden ist. Der Beklagte ist als gesetzlicher Erbe der Erblasserin Pflichtteilsberechtigter.

Vorgerichtlich stellten die Prozessparteien Einvernehmen über folgende Einzelwerte des Nachlasses der Erblasserin zum Zeitpunkt des Erbfalls her:

das Hausgrundstück L. straße 18 in B. 108.000 EUR,

ein weiteres Feldgrundstück 4.150 EUR,

das Guthaben auf einem Girokonto 5.643,94 EUR,

Zwischensumme: 112.793,94 EUR

sowie

Nachlassverbindlichkeiten -4.226 EUR.

vorläufiger Nachlasswert: 108.567,94 EUR.

Hauptstreitpunkt zwischen den Prozessparteien ist ein testamentarisches Vermächtnis zugunsten des Beklagten. Die Erblasserin hatte - gemeinsam mit ihrem Ehemann J.L. - von Todes wegen verfügt, dass ihr Schlusserbe verpflichtet sei, an den Beklagten das Hausgrundstück L. straße 18 in B. "herauszugeben". Der Kläger hat die Ansicht vertreten, dass hinsichtlich dieses Vermächtnisses die Voraussetzungen des § 2306 Abs. 1 Satz 1 BGB gegeben seien, d.h. dass das Vermächtnis kraft Gesetzes als nicht angeordnet gelte, weil dem Kläger nach Erfüllung des Vermächtnisses rechnerisch ein geringerer Erbanteil verbliebe, als wenn er testamentarisch von der Erbfolge ausgeschlossen worden und auf seinen Pflichtteil beschränkt worden wäre. Der Beklagte hat gemeint, dass hinsichtlich des Wertvergleichs auf die Verkehrswerte z.Zt. der Errichtung des Vermächtnisses (1985) abzustellen sei. Hilfsweise, d.h. bei Abstellen auf die Werte z.Zt. des Erbfalls und rechnerische Erfüllung der Voraussetzungen des § 2306 Abs. 1 Satz 1 BGB, hat er sich darauf berufen, dass das Testament dahin auszulegen sei, dass er Alleinerbe der Erblasserin sei.

Im Verlaufe des Rechtsstreits hat der Beklagte vom Kläger die Vorlage eines neuen, nunmehr von einem Notar aufgenommenen Nachlassverzeichnisses einschließlich der Zuwendungen der Erblasserin an Dritte in den letzten zehn Jahren vor dem Erbfall verlangt. Er hat behauptet, dass die Erblasserin ein erheblich größeres Vermögen besessen habe. Da das im bisherigen Nachlassverzeichnis aufgeführte Konto ein relativ geringes Guthaben aufweise, müssten entweder weitere Konten existieren oder aber zu Lebzeiten erhebliche Zuwendungen an Dritte erfolgt sein.

Der Kläger hat in erster Instanz beantragt, festzustellen, dass das o.a. Vermächtnis als nicht angeordnet gilt. Hilfsweise für die Abweisung des Feststellungsan...

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