Leitsatz (amtlich)

1. Es gibt keinen im einstweiligen Rechtsschutz durchsetzbaren Anspruch auf Übertragung der Totenfürsorge.

2. Einem Verwandten steht an Stelle des Ehegatten das Recht zur Totenfürsorge kraft Übertragung durch den Verstorbenen zu. Fehlt es an einem dahingehenden Willen des Verstorbenen, bleibt es beim gewohnheitsrechtlichen Vorrang des Ehegatten. Der nicht totenfürsorgeberechtigte Verwandte kann sich in diesem Fall nur gegen einzelne Maßnahmen des Ehegatten wenden, wenn diese dem (mutmaßlichen) Willen des Verstorbenen widersprechen.

3. Streiten die nahen Angehörigen, wem von ihnen die Totenfürsorge zukommt und hat bereits einer von ihnen die Beisetzung gegen den Willen des anderen veranlasst, gebieten es die Pietät und die Wahrung der Totenruhe, diesen Zustand durch eine einstweilige Verfügung bis zur Entscheidung der Hauptsache aufrechtzuerhalten. Der Verstorbene darf nicht dem Streit der Parteien ausgesetzt werden.

 

Verfahrensgang

LG Halle (Saale) (Urteil vom 06.05.2015; Aktenzeichen 6 O 81/15)

 

Tenor

Auf die Berufung des Verfügungsklägers wird das am 6.5.2015 verkündete Urteil des LG Halle abgeändert und der Verfügungsbeklagten untersagt, die Umbettung der auf dem Friedhof H. straße in B. beigesetzten Urne ihres am 17.1.2015 verstorbenen Ehemannes S. Sch. zu veranlassen. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung wird der Verfügungsbeklagten die Verhängung eines Ordnungsgeldes bis zu 30.000,00 EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, Ordnungshaft bis zu zwei Monaten angedroht. Im Übrigen wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen.

Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens beider Instanzen werden gegeneinander aufgehoben.

 

Gründe

Von der Bezugnahme auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil mit Darstellung etwaiger Änderungen oder Ergänzungen wird gemäß §§ 540 I 1 Nr. 1, II; 313a I 1; 542 II 1 ZPO abgesehen.

I. Die zulässige Berufung des Verfügungsklägers hat in der Sache teilweise Erfolg. Das angefochtene Urteil des LG Halle beruht auf einer Verletzung des Rechts im Sinne von § 513 I ZPO. Entgegen der Auffassung des LG kann der Verfügungskläger eine einstweilige Verfügung erwirken. Angesichts des Streits der Parteien, über den endgültig im Hauptsacheverfahren zu entscheiden ist, muss zur Abwendung einer unnötigen Beeinträchtigung der Totenruhe der vorläufige Verbleib der Urne des Verstorbenen in B. geregelt werden (§§ 940; 938 I; 936; 922 I 1 ZPO). Für eine einstweilige Übertragung der Totenfürsorge auf den Verfügungskläger sieht der Senat dagegen keinen Raum.

1. Die gegen die Berufung geäußerten Zulässigkeitsbedenken der Verfügungsbeklagten teilt der Senat nicht.

Das LG hat über die einstweilige Verfügung durch Endurteil entschieden. Dagegen findet nach § 511 I ZPO die Berufung statt. Der Verfügungskläger kann sein Rechtsmittel bei identischem Klagegrund auch auf neue Tatsachen stützen, wie sich aus §§ 520 III 2 Nr. 4; 529 I Nr. 2; 531 II 1 ZPO ergibt. Im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sind neue Tatsachen sogar uneingeschränkt zuzulassen.

Entscheidend ist, ob mit der Anfechtung eine die Erwachsenheitssumme des § 511 II Nr. 1 ZPO übersteigende (Teil-) Beschwer aus der ersten Instanz weiter verfolgt wird. Hierfür genügt dem Kläger die in der Zurückweisung seines Antrages zu erblickende formelle Beschwer, welche mit dem auf Übertragung der Totenfürsorge gerichteten Begehren zumindest teilweise Gegenstand des Berufungsverfahrens ist (§§ 520 III 2 Nr. 1; 528 1 ZPO). Die Fortschreibung des Sachverhalts nimmt dem Kläger bei gleichbleibendem Streitgegenstand nicht die für die Berufung notwendige Beschwer (Zöller/Heßler, ZPO, 30. Aufl., vor § 511 Rdn. 10a).

Mit dem weiteren Antrag auf Verbot der Umbettung reagiert der Verfügungskläger auf die Weiterentwicklung des Sachverhalts, indem er den in erster Instanz geltend gemachten Unterlassungsanspruch modifiziert. Dies ist nicht einmal eine Klageänderung (§ 264 Nr. 3 ZPO).

2. Mit seinem Antrag geht es dem Verfügungskläger um die Verwirklichung des aus der Menschenwürde folgenden Selbstbestimmungsrechts des Verstorbenen im Wege postmortalen Persönlichkeitsschutzes. Als naher Angehöriger kann der Kläger diesen Rechtsschutz vorantreiben (Staudinger/Wolfgang Marotzke, BGB, Neubearb. 2008, § 1922 Rdn. 131). Das gilt auch im Verhältnis zum Ehegatten, also der Verfügungsbeklagten (OLG Karlsruhe MDR 1990,443). Zudem verfolgt der Verfügungskläger ein eigenes, die gewohnheitsrechtlich vorrangig berufene Verfügungsbeklagte ausschließendes Recht auf Totenfürsorge kraft der von ihm behaupteten Übertragung durch den Verstorbenen. In beiden Fällen geht es um absolute Rechte, deren Beeinträchtigung mit einem Unterlassungsanspruch begegnet werden kann (§§ 823 I; 1004 I 2 BGB). Das Totenfürsorgerecht ist sonstiges Recht im Sinne von § 823 I BGB und setzt sich als Abwehrrecht gegen Beeinträchtigungen fort (Palandt/Weidlich, BGB, 74. Aufl., vor § 1922 Rdn. 12).

3. Dar...

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