Leitsatz (amtlich)

Bei der Vor- und Nacherbschaft genügt es hinsichtlich der Befreiung des Vorerben, wenn der Befreiungswille im Testament irgendwie, wenn auch nur andeutungsweise oder versteckt zum Ausdruck kommt. Zu den Umständen, unter denen von einer stillschweigenden Befreiung des Vorerben auszugehen ist, gehören: das Einsetzen des an der Vermögensbildung beteiligten Ehegatten zum Vorerben, wenn es sich bei dem Nacherben um einen eher entfernten Verwandten handelt, das Eintreten des Nacherbfalls mit dem Tod des Vorerben oder der Wiederverheiratung. Weiterhin ist die Motivation für die Anordnung einer Vor- und Nacherbschaft mit zu berücksichtigen sowie das Verhalten des Vorerben.

 

Verfahrensgang

LG Magdeburg (Urteil vom 10.04.2013; Aktenzeichen 10 O 1166/12)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 10.4.2013 verkündete Urteil des LG Magdeburg teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 12.000 EUR nebst Zinsen für das Jahr i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 6.9.2012 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen der Kläger 9/10 und die Beklagte 1/10.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen die Vollstreckung der jeweils anderen Seite durch Sicherheitsleistung i.H.v. 120 Prozent des auf Grund dieses Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Gläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 120 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

und beschlossen:

Der Streitwert für den Berufungsrechtszug wird auf 124.836,50 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der Kläger nimmt die Beklagte in erster Linie als für die Nachlassverbindlichkeiten seines Onkels H. T. haftende testamentarische Erbin auf Schadensersatz in Anspruch, weil Herr T. als nicht befreiter Vorerbe den Nachlass seiner vorverstorbenen Ehefrau, B. T., geb. L., nicht ordnungsgemäß verwaltet habe, so dass kein an den Kläger als Nacherben herausgebbares Vermögen der Frau T. mehr vorhanden ist.

Die Eheleute T. waren kinderlos. H. T. hatte einen Sohn aus erster Ehe, mit dem man sich überworfen hatte und der vom Vermögen der Eheleute nichts erhalten sollte. Deshalb wählte Frau T. in ihrem Testament die Vor- und Nacherbschaft, um den Sohn des Ehemannes nicht in den Genuss ihres Vermögens, sei es als Erbe oder als Pflichtteilsberechtigter nach H. T., kommen zu lassen (Bd. I Bl. 2 d.A.).

Herr T. hatte in der DDR einen eigenen Betrieb. Die Eheleute wohnten im Elternhaus der Frau T. in M., L. Straße 4. Dieses Grundstück verkaufte Frau T. am 10.12.1990 für 290.000 DM, woraufhin Herr und Frau T. nach D. verzogen. Beide verfügten über gemeinsame Renteneinnahmen von ca. 3.000 EUR im Monat. Zuletzt mussten sie für ihre Wohnung in K. monatlich ca. 1.000 EUR zahlen. Nach dem Tod der Erblasserin erhielt Herr T. noch eine Rente zwischen 1.700 EUR und 1.800 EUR.

Im Januar 2004 zog der Vorerbe zurück in seine Heimatstadt M., wo er über Freunde und Bekannte verfügte. Am 29.3.2004 errichtete er ein die Beklagte begünstigendes Testament, das er jährlich abzeichnete (Bd. I Bl. 10 d.A.). Irgendwelche, auf den Nachlass der Frau T. bezogenen Forderungen hat der Kläger gegen Herrn T. nie erhoben.

Der Kläger hat behauptet, Herr T. sei nicht befreiter Vorerbe gewesen und habe den Nachlass seiner Ehefrau nicht ordnungsgemäß verwaltet. Zur Zeit des Vorerbfalles habe die Erblasserin einschließlich des Guthabens aus dem Wohnungsdarlehen (11.545,60 EUR) ein Vermögen von 118.836,50 EUR besessen, zu dem auch ein Audi A3 mit dem amtlichen Kennzeichen ... (später ...) gehört habe. Beim Tod des Vorerben und damit im Moment des Nacherbfalls sei nichts mehr vorhanden gewesen. Nach Auffassung des Klägers komme es nicht auf den Kauf des Fahrzeugs durch die Beklagte an. Maßgeblich sei allein das Fehlen eines an dessen Stelle getretenen Gegenwertes im Nachlass zum Zeitpunkt des Nacherbfalls, was die Verfügung ex nunc unwirksam mache.

Das LG hat der Klage mit Urteil vom 10.4.2013, auf das wegen der dort im Übrigen getroffenen tatsächlichen Feststellungen Bezug genommen wird, bis auf einen Teil der Zinsen stattgegeben. Gegen diese Entscheidung wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung.

Die Beklagte trägt vor, sie habe mittlerweile die Annahme der Erbschaft durch Erklärung gegenüber dem Nachlassgericht angefochten (7b VI 235/09 AG Oschersleben). Das LG habe aber bereits das Testament vom 14.2.1997 nicht anhand der Lebensverhältnisse der Eheleute T. ausgelegt. Es sei nicht anzunehmen, dass Frau T. ihren Ehemann als Vorerben habe beschränken und zum Vermögensverwalter degradieren wollen. Der Kläger habe keine besondere Beziehung zur Erblasserin unterhalten und sei deshalb nur in das eingesetzt worden, was im Nacherbfall noch vorhanden sei. Dementsprechend habe sich Herr T. nie in der Rolle eines nicht befreiten Vorerben gesehen, was zwischen den Parteien unstreitig ist. Nicht anders...

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