Leitsatz (amtlich)

1. Die uneingeschränkte Zulassung und Duldung öffentlichen Verkehrs auf einem Grundstück (hier: Betriebsgelände eines Getränkefachgroßhandels) verpflichtet den Eigentümer zur Ergreifung der notwendigen Verkehrssicherungsmaßnahmen für den gesamten unbebauten Bereich des Grundstücks. Diese Verkehrssicherungspflicht besteht auch zeitlich unbeschränkt.

2. Beim Ausfall eines zwar nicht privat, aber auch nicht gewerblich genutzten Kraftfahrzeugs (hier: eines polizeilichen Dienstfahrzeugs) kann die entfallene Nutzungsmöglichkeit einen ersatzfähigen Vermögensschaden darstellen, wenn der Eigentümer auf die kostenintensive Anmietung eines Ersatzfahrzeugs verzichtet und die Nachteile dessen deutlich fühlbar sind.

 

Verfahrensgang

LG Magdeburg (Urteil vom 16.10.2012; Aktenzeichen 11 O 778/12)

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers wird das am 16.10.2012 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 11. Zivilkammer des LG Magdeburg teilweise geändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 7.768,43 EUR nebst Zinsen i.H.v. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.12.2011 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die weiter gehende Berufung wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen tragen die Beklagte zu 60 % und der Kläger zu 40 %.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Von einer Darstellung des Tatbestandes wird nach §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 ZPO abgesehen.

II. Die Berufung ist zulässig. Sie hat auch in der Sache überwiegend Erfolg.

1. Der Kläger hat gegen die Beklagte dem Grunde nach einen Anspruch auf Ersatz des Schadens an dem Dienstfahrzeug, VW Passat Variant 1.4 TSI Ecofoul Trendline mit dem amtlichen Kennzeichen ... und dem Sonderkennzeichen ... wegen der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten aus § 823 Abs. 1 BGB.

a) Die Zulassung und Duldung öffentlichen Verkehrs auf einem Grundstück verpflichtet den Eigentümer zur Ergreifung der notwendigen Verkehrssicherungsmaßnahmen. Dies folgt aus dem allgemeinen Grundsatz, dass derjenige der eine Gefahrenquelle schafft oder auch nur andauern lässt, die notwendigen Vorkehrungen zum Schutze der Nutzer zu treffen hat (OLG Jena, Urt. v. 12.10.2005 - 4 U 843/04, zitiert bei juris, Rz. 8).

b) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze traf die Beklagte eine Verkehrssicherungspflicht.

aa) Auf dem Gelände, auf welchem das klägerische Fahrzeug verunfallte, befindet sich eine Getränkefachgroßhandlung. Auf diese wird mit einem großen Schild, welches sich an einer Hauswand befindet, hingewiesen. Das Grundstück ist damit für den allgemeinen Fahrzeugverkehr eröffnet. Weder vor noch auf dem Gelände ist ein bestimmter Fahrtweg vorgegeben bzw. eine Begrenzung der für den Getränkehandel zugänglichen Fläche angezeigt. Dies hat zur Folge, dass damit sämtliche Wege frei nutzbar sind. Bei dieser Sachlage trifft die Beklagte eine Verkehrssicherungspflicht für den gesamten unbebauten Bereich ihres Grundstücks.

bb) Diese Verkehrssicherungspflicht besteht auch zeitlich uneingeschränkt. Sie ist insbesondere nicht auf die Geschäftszeiten beschränkt. Eine zeitliche befristete Öffnung des Geländes nur während der Geschäftszeiten liegt nicht vor, entsprechende Hinweisschilder sind nicht aufgestellt. Es sind auch im Übrigen keine Vorkehrungen getroffen worden, die ein Befahren des Geländes lediglich zu bestimmten Zeiten ermöglichen würden, sei es durch das Einsetzen von Pollern oder durch die Beschränkung mittels einer Schranke.

c) Diese Verkehrssicherungspflicht hat die Beklagte verletzt, indem sie es unterlassen hat, das Befahren ihres Gewerbegrundstücks, auf dem sich ein ungefähr 38 cm tiefer Absatz befindet, durch geeignete und ihr zumutbare Maßnahmen zu verhindern bzw. Dritte ausreichend vor der Gefahrenstelle zu warnen. Dabei wäre es ihr ohne weiteres möglich und zumutbar gewesen, durch Absperrbänder, Hinweisschilder oder ggf. eine Schranke zumindest diesen Bereich abzusichern. Hierzu wäre sie verpflichtet gewesen, weil die richterliche Augenscheinseinnahme erster Instanz ergeben hat, dass der Absatz für ein herannahendes Fahrzeug zunächst nur schwer - wenn überhaupt - erkennbar war.

2. Allerdings muss sich das klagende Land gem. § 254 Abs. 1 BGH ein Mitverschulden des Fahrers des Polizeifahrzeugs, des Zeugen S., zurechnen lassen, das der Senat mit 40 % bemisst. Nach § 3 Abs. 1 StVO darf ein Fahrzeugführer nur so schnell fahren, dass er sein Fahrzeug ständig beherrscht. Er hat seine Geschwindigkeit insbesondere den Straßenverhältnissen anzupassen. Dabei darf er nach § 3 Abs. 1 S. 4 StVO nur so schnell fahren, dass er innerhalb der übersehbaren Strecke halten kann. Der Fahrer des verunfallten Fahrzeuges fuhr bei Dunkelheit auch für ihn erkennbar auf einem Gewerbegelände. Bereits dies hätte ihn veranlassen müssen, langsam auf Sichtweite zu fahren, da er keinen ordnungsmäßen Straßenausbau erwarten durfte und er jederzeit damit rechnen musste, dass auf dem Gelände Gegenstände oder Transportkisten bzw. Sperrgü...

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