Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung des Geschäftsführers einer GmbH für die Nichtabführung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Grundsätzlich ist im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266a StGB eine Berufung des Schuldners der Sozialversicherungsbeiträge darauf, dass die Beiträge, wären sie gezahlt worden, vom Insolvenzverwalter zugefordert worden wären, beachtlich mit der Folge, dass eine Schadensersatzpflicht entfällt. Dies setzt jedoch die sichere Feststellung voraus, dass eine Insolvenzanfechtung erfolgreich gewesen wäre.

2. Hiervon kann aber jedenfalls dann nicht ausgegangen werden, wenn bei pünktlicher Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge über einen längeren Zeitraum die Träger der Sozialversicherung keine Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin gehabt hätten.

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 2; StGB § 266a; InsO § 133 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 29.03.2010; Aktenzeichen 34 O 16602/09)

BGH (Urteil vom 29.09.2008; Aktenzeichen II ZR 162/07)

BGH (Urteil vom 02.06.2008; Aktenzeichen II ZR 27/07)

BGH (Urteil vom 05.05.2008; Aktenzeichen II ZR 38/07)

BGH (Urteil vom 14.05.2007; Aktenzeichen II ZR 48/06)

BGH (Urteil vom 25.09.2006; Aktenzeichen II ZR 108/05)

BGH (Beschluss vom 09.08.2005; Aktenzeichen 5 StR 67/05)

BGH (Urteil vom 18.04.2005; Aktenzeichen II ZR 61/03)

BGH (Urteil vom 27.05.2003; Aktenzeichen IX ZR 169/02)

BGH (Entscheidung vom 14.11.2000; Aktenzeichen VI ZR 149/99)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 29.03.2010, Az. 34 O 16602/09, wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 7.926,67 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

I. Der Darstellung eines Tatbestandes bedarf es nicht, denn der Wert der Beschwer der Beklagten übersteigt 20.000 EUR nicht (§ 26 Nr. 8 EGZPO). Nach herrschender Meinung ist § 313 a ZPO, auf den § 540 Abs. 2 ZPO ausdrücklich verweist, auch auf Berufungsurteile anwendbar (Thomas/Putzo, ZPO, 30. Auflage, Rn. 2 zu § 313 a und Zöller/Vollkommer, ZPO, 28. Auflage, Rn. 2 zu § 313 a).

Beide Parteien verfolgen inhaltlich ihre erstinstanzlichen Anträge weiter. Die Beklagte beantragt die Zulassung der Revision.

 

Entscheidungsgründe

II. Die zulässige Berufung ist unbegründet, da die Beklagte gemäߧ 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 a StGB zur Leistung der von der Klägerin geforderten Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung verpflichtet ist und die Klageforderung auf vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung beruht.

1. Die Beklagte hat ein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB verletzt, da sie als Geschäftsführerin der V. D. GmbH durch die Nichtabführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung den Straftatbestand des § 266 a Abs. 1 StGB erfüllt hat. Eine Abführung der Beiträge wäre ihr möglich gewesen, notfalls hätte sie in der sich abzeichnenden Krise die Nettolöhne kürzen müssen (BGH, ZIP 2006, 2127 [BGH 25.09.2006 – II ZR 108/05]). Für das Tatbestandsmerkmal des Vorenthaltens im Sinne des § 266 a StGB genügt es, dass die Beiträge bei Fälligkeit nicht gezahlt werden; nicht erforderlich ist, dass die Schuld uneinbringlich ist, so dass es auf etwaige Verwertungsmöglichkeiten der von der Beklagten für die Klägerin bestellten Grundschuld nicht ankommt. Für die Verwirklichung des Straftatbestandes des § 266 a StGB ist auch die Frage ohne Bedeutung, ob der Insolvenzverwalter im Falle der Zahlung der Beiträge diese hätte zurückfordern können (BGH, 5. Strafsenat, NJW 2005, 3650 [BGH 09.08.2005 – 5 StR 67/05]).

2. Durch die Verletzung des Schutzgesetzes ist bei der Klägerin ein Schaden entstanden. Im Rahmen der Kausalität und des Zurechnungszusammenhangs ist zwar grundsätzlich die Frage von Bedeutung, ob der Schaden auch bei pflichtgemäßem Verhalten, also bei Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge, entstanden wäre, mithin die Frage, ob der Insolvenzverwalter Beiträge im Falle ihrer Zahlung hätte zurückfordern können (a). Jedoch kann im vorliegenden Fall nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden, dass bei Unterstellung pflichtgemäßer Beitragszahlungen eine hypothetische Insolvenzanfechtung Erfolg gehabt hätte (b).

a) Grundsätzlich ist im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 266 a StGB eine Berufung des Schuldners von Sozialversicherungsbeiträgen darauf, dass die Beiträge, wären sie gezahlt worden, vom Insolvenzverwalter zurückgefordert worden wären, beachtlich mit der Folge, dass eine Schadensersatzpflicht entfällt (BGH, NJW 2001, 967 [BGH 14.11.2000 – VI ZR 149/99]; NJW 2005, 2546 [BGH 18.04.2005 – II ZR 61/03]; vgl. auch BGH, NJW 2009, 295 [BGH 29.09.2008 – II ZR 162/07]).

Dem kann insbesondere nicht entgegen gehalten werden, dass Beitragszahlungen zur Sozialversicherung insolvenzfest seien. Seit Inkrafttreten der Insolvenzordnung hat der Fiskus im Insolvenzverfahren keinen Vorrang...

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