Leitsatz (amtlich)

1. Die Grundsätze des Beweises des ersten Anscheins sind für die Feststellung der personalen Seite der groben Fahrlässigkeit nicht anwendbar. Allerdings kann vom äußeren Geschehensablauf auf innere Vorgänge geschlossen werden. Es ist dann, sofern ihm dies zumutbar ist, Sache des Unfallverursachers, entlastende Umstände vorzutragen.

2. Ein nicht mit Lichtzeichen oder Schranke gesicherter Bahnübergang erhöht, auch wenn dies nach den einschlägigen Vorschriften zulässig ist, die Betriebsgefahr der Eisenbahn.

3. Die Betriebsgefahr eines bei winterlichen Straßenverhältnissen mit Sommerreifen ausgerüsteten Pkw ist unabhängig davon erhöht, dass der Gebrauch von Winterreifen nicht vorgeschrieben ist.

 

Verfahrensgang

LG München II (Urteil vom 23.07.2002; Aktenzeichen 1 O 7034/97)

 

Tenor

I.1. Auf die Berufung der Kläger hin wird das Urteil des LG München II vom 23.7.2002 in Ziff. 1 aufgehoben soweit die Klage der Klägerin zu 1) und die auf materiellen Schadenersatz gerichtete Klage des Klägers zu 2) abgewiesen wurden.

Die Kostenentscheidung des LG (Ziff. 2) wird aufgehoben.

I. Die Klage der Klägerin zu 1) wird dem Grunde nach i.H.v. 40 % für gerechtfertigt erklärt.

II. Die Klage des Klägers zu 2) wird, soweit sie auf Ersatz des materiellen Schadens gerichtet ist, dem Grunde nach i.H.v. 40 % für gerechtfertigt erklärt.

a) Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger zu 2) über den streitgegenständlichen bezifferten materiellen Schaden hinaus 40 % des materiellen Schadens zu ersetzen, der dem Kläger zu 2) aufgrund des Unfallereignisses vom 22.12.1994 erwächst, soweit der Anspruch nicht auf Dritte, insb. Sozialversicherungsträger, übergegangen ist.

II. Im Übrigen werden die Berufungen der Kläger zurück- und die Klagen abgewiesen.

III. Wegen der Höhe des den Klägern zustehenden materiellen Schadenersatzes gem. Ziff. 1.2. und 3. wird der Rechtsstreit zur weiteren Verhandlung und Entscheidung an das LG München II zurückverwiesen.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger begehren Schadenersatz, weil der Kläger zu 2) auf einem unbeschrankten Bahnübergang im Pkw der Klägerin zu 1) mit einem Zug der Beklagten kollidiert ist.

Am 22.12.1994 fuhr der Kläger zu 2) gegen 6.50 Uhr mit dem Pkw Opel Vectra der Klägerin zu 1) in L. vom U.-weg in Richtung Bundesstraße 13. Vom U.-weg zweigt der T.-weg ab, der zunächst 200 Meter ansteigend parallel zu der eingleisigen Bahnstrecke L.-B.T. in nordwestlicher Richtung verläuft und die Bahngleise sodann im rechten Winkel quert, wobei vor und im Gleisbereich eine Steigung bis zu 7 bzw. bis zu 11 Grad zu überwinden ist. Auf dem Bahnübergang kam es zum Zusammenstoß mit dem aus der Sicht des Klägers zu 2) sich von links nähernden Nahverkehrszug E 4062, der gerade den Bahnhof L. in Richtung B. T. verlassen hatte. Der Zug prallte hinten links gegen das auf den Gleisen stehende, vom Kläger zu 2) geführte Fahrzeug und schleifte dieses ca. 200 Meter weit mit.

Bei dem Unfall kamen die zwei Mitfahrer im Pkw ums Leben, der Kläger zu 2) erlitt u.a. schwere Kopfverletzungen, das Fahrzeug der Klägerin zu 1) wurde total beschädigt. Zur Unfallzeit herrschte Dunkelheit. Am Unfallort lag Schnee und es schneite noch. Das Fahrzeug der Klägerin zu 1) war nicht mit Winterreifen ausgerüstet. Vom Zug wurde die im Unfallbereich vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h eingehalten.

Der Bahnübergang ist auf beiden Seiten mit einem Andreaskreuz gesichert. Eine Beschrankung oder Lichtzeichenanlage ist nicht vorhanden. In Fahrtrichtung des Klägers war die Geschwindigkeit auf dem T.-weg durch ein Verkehrsschild, dass sich etwa 30 bis 35 Meter vor dem Bahnübergang befindet, auf 10 Km/h beschränkt. Der T.-weg ist eine Ortsstraße, die im wesentlichen von Anliegern befahren wird. Der Kläger zu 2) hatte den Übergang im Sommer 1994 ein bis zweimal wöchentlich befahren.

Bereits am 12.12.1994 war es auf dem Bahnübergang zu einem Zusammenstoß zwischen einem Pkw und dem Zug gekommen, wobei der Pkw-Lenker erheblich verletzt wurde.

Der Kläger zu 2) wurde durch rechtskräftigen Strafbefehl des AG W. vom 4.7.1995 wegen fahrlässiger Tötung und gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr zu einer Geldstrafe von 90 Tagessätzen verurteilt.

Die DB Regio AG war zum Unfallzeitpunkt noch nicht rechtlich existent. Für Altschulden, die aus der Zeit vor der Gründung der DB Regio AG herrühren, haftet die Deutsche Bahn AG weiter.

Die Kläger haben im 1. Rechtszug geltend gemacht, dass sich der Unfall auf einer Ortsverbindungsstraße ereignet habe. Dem Kläger zu 2) sei die Sicht auf die Gleise durch das Andreaskreuz versperrt gewesen. Zum Unfallzeitpunkt sei die Sicht zudem auch durch dichten Schneefall behindert gewesen. Der Kläger zu 2) habe den herankommenden Zug wahrgenommen, wie er langsam angefahren sei, um den Bahnübergang zu überqueren. Wegen der herrschenden Eisglätte sei es ihm nicht gelungen, den Gleiskörper rechtzeitig zu verlassen. Die Beklagte habe i...

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