Entscheidungsstichwort (Thema)

Zur Phoenix-Insolvenz. hier: zur Anfechtbarkeit der von der Schuldnerin an den Handelsvertreter bezahlten Bestandsprovisionen. Anfechtbarkeit der von der Schuldnerin an den Handelsvertreter bezahlten Bestandsprovisionen

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Handelsvertreter, der gemäß vertraglicher Vereinbarung der Schuldnerin Kunden zugeführt hat, hat gegen diese auch dann einen rechtswirksamen Provisionsanspruch, wenn das von der Schuldnerin betriebene Anlagemodell – vom Kunden und dem Handelsvertreter unerkannt – wegen Betreibens eines „Schneeballsystems” sittenwidrig ist und ein wirksamer Anlagevertrag daher nicht zustande gekommen ist.

2. Die Handelsvertreterprovision stellt, auch soweit es sich dabei nicht um die Abschlussprovision, sondern um die Bestandsprovision handelt, eine entgeltliche Leistung für die vom Handelsvertreter erbrachte Gegenleistung der Kundenwerbung und Kundenpflege dar.

3. Hat die Schuldnerin die Berechnung überhöhter Bestandsprovisionen durch die Mitteilung geschönter Zahlen veranlasst und daraufhin überhöhte Zahlungen an den Handelsvertreter geleistet, so unterliegt die teilbare Leistung der Schuldnerin insoweit, als sie wegen Überschreitens des vertraglichen Anspruches eine unentgeltliche Leistung darstellt, der Schenkungsanfechtung nach § 134 InsO.

4. Ist vertragsgemäß die Höhe der Bestandsprovision vom Kontostand des geworbenen Anlegers abhängig, so stellt der Betrag der Kundeneinlage die maßgebliche Berechnungsgrundlage für die Ermittlung des entgeltlichen, nicht anfechtbaren Teils und des unentgeltlichen, anfechtbaren Teils der Provisionszahlung dar.

5. Die Einlage wird nur vermindert durch Auszahlungen an den Anleger, soweit diese Zahlungen nicht auf (Schein-)gewinne, sondern auf die Einlage selbst erfolgen.

6. Maßgeblich für die Bewertung des Auszahlungsvorgangs sind allein die realen Umstände, die der Auszahlung zugrunde gelegen haben (ausdrückliche oder konkludente Tilgungsbestimmung). Ein nachträglich auf der Basis einer fiktiven Vertragsdurchführung konstruierter Kontoverlauf ist hierfür ohne Bedeutung.

7. Der von der Schuldnerin über den „Schneeballcharakter” des Anlagemodells getäuschte Handelsvertreter, der seine beruflichen Kapazitäten unwiederbringlich zugunsten der Schuldnerin eingesetzt hat, kann dem auf den Überhöhungsbetrag gerichteten Rückforderungsverlangen des Insolvenzverwalters § 242 BGB entgegensetzen.

 

Normenkette

InsO § 134

 

Verfahrensgang

BGH (Entscheidung vom 22.04.2010; Aktenzeichen IX ZR 163/09)

LG München I (Urteil vom 22.10.2009; Aktenzeichen 10 O 5948/09)

BGH (Urteil vom 30.03.2006; Aktenzeichen IX ZR 84/05)

BGH (Urteil vom 11.10.1990; Aktenzeichen I ZR 32/89)

 

Nachgehend

BGH (Urteil vom 22.09.2011; Aktenzeichen IX ZR 209/10)

 

Tenor

I. Die Berufung des Klägers gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 22. Oktober 2009 wird zurückgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages leistet.

IV. Die Revision wird zugelassen.

V. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 22.006,46 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

I. Der Kläger ist Verwalter in dem auf Antrag vom 11. März 2005 am 01. Juli 2005 eröffneten Insolvenzverfahren über das Vermögen der P. -GmbH (nachfolgend: Schuldnerin). Er begehrt im vorliegenden Verfahren von der Beklagten die Rückzahlung von Handelsvertreterprovisionen, die die Insolvenzschuldnerin im 4-Jahres-Zeitraum vor Beantragung des Insolvenzverfahrens an die Beklagte auf der Grundlage von unzutreffenden, durch Scheingewinne aufgeblähten Anlegerkontoständen ausgezahlt hat.

Die Schuldnerin war seit 1977 als Finanzdienstleisterin tätig. Sie besaß die Erlaubnis, Finanzkommissionsgeschäfte und Finanzportfolioverwaltungsleistungen zu erbringen. Ab 1992 bot sie unter der Produktbezeichnung „P. M… A.” (nachfolgend: PMA) ihren Kunden die Möglichkeit an, am Erfolg oder Misserfolg von Optionsgeschäften teilzunehmen. Gemäß Produktbeschreibung sollte die Schuldnerin im eigenen Namen auf Rechnung der Anlegergemeinschaft Handel mit Optionen und Futures betreiben und das dabei erzielte Ergebnis anteilig auf die Anleger verteilen. Die Schuldnerin warb mit jährlich zu erzielenden Renditen zwischen 8,7 % und 14,07 %. Tatsächlich erzielte sie mit dem PMA spätestens seit 1993/1994 hohe Verluste. Den Anlegern offenbarte sie dies nicht. Vielmehr sandte sie ihren Anlegern geschönte monatliche Kontostandsmitteilungen zu, in denen frei erfundene Gewinne ausgewiesen waren. Zu diesem Zweck täuschte die Schuldnerin erhebliche Vermögenswerte und Handelsumsätze auf einem in Wahrheit nicht existierenden Konto Nr. M. beim Brokerhaus M. vor. Die Gelder der Anleger legte die Schuldnerin nur zu einem geringen Teil und später überhaupt nicht mehr in Termingeschäften an. Die E...

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