Entscheidungsstichwort (Thema)

Notwendige Beweisaufnahme im Verkehrsunfallprozess

 

Verfahrensgang

LG München II (Urteil vom 08.09.2011; Aktenzeichen 14 O 51/11)

 

Tenor

1. Auf die Berufung des Klägers vom 14.10.2011 wird das Endurteil des LG München II vom 8.9.2011 (Az. 14 O 51/11) samt dem ihm zugrunde liegenden Verfahren aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG München II zurückverwiesen.

2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem LG München II vorbehalten.

Gerichtsgebühren für die Berufungsinstanz sowie gerichtliche Gebühren und Auslagen, die durch das aufgehobene Urteil verursacht worden sind, werden nicht erhoben.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A. Von der Darstellung des Tatbestandes wird abgesehen (§§ 540 II, 313a I 1 ZPO i. Verb. m. § 26 Nr. 8 EGZPO).

B. Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache jedenfalls vorläufig Erfolg.

I. Das LG hat nach derzeitigem Verfahrensstand zu Unrecht Ansprüche des Klägers aus dem Verkehrsunfall vom 3.10.2007 auf der B 307 abgelehnt.

Das Erstgericht hat gegen seine Verpflichtung verstoßen, den ihm zur Entscheidung unterbreiteten Sachverhalt auszuschöpfen und sämtlichen Unklarheiten, Zweifeln oder Widersprüchen von Amts wegen nachzugehen (vgl. BGH VersR 2004, 790; 2008, 1265; NJW-RR 2011, 428 jeweils m.w.N.).

Zur Begründung wird auf den Hinweis zur Ladung vom 22.12.2011 (Bl. 84/89 d.A.) Bezug genommen. Das LG wird daher in Anwesenheit eines Sachverständigen zuerst die unfallbeteiligten Fahrer (Kläger und Beklagten zu 2) anhören und dann neben der zusätzlichen Vernehmung des Zeugen A. die bereits durchgeführte Beweisaufnahme wiederholen müssen. Bei dieser Beweisaufnahme ist zu beachten, dass das LG bei der Vernehmung der Zeugen K. und S. den Zeugen ihre bisherigen Aussagen jeweils vorzuhalten hat. Denn selbst unabhängig von der im Gegenverkehr zu den Zeugen gefahrenen Geschwindigkeiten ist der Unterschied zwischen den Aussagen so eklatant, dass der Schluss des LG, mit Hilfe dieser Zeugenaussagen habe sich die Unfalldarstellung des Beklagten zu 2) bestätigt, bei derzeitiger Lage nicht aufrechterhalten lässt. Denn der Aussage der Zeugin Schön ist ein Stau auf der Gegenfahrbahn mit einem anhaltenden Fahrzeug, um dem Beklagten zu 2) eine Lücke zu lassen, nicht zu entnehmen. Unzutreffend war auch die Annahme des LG (vgl. S. 6 des Ersturteils unten), der Zeuge K. sei ein "völlig neutraler Zeuge". Ausweislich der Aussage des Zeugen ist das Motorrad des Klägers in das Fahrzeug des Zeugen hineingeschlittert, so dass das vom Zeugen gefahrene Fahrzeug erheblich (Abt-Frontschürze erheblich beschädigt, vgl. Bl. 4 der beigezogenen Akte der StA München II, Az. 57 Js 43189/07) beschädigt wurde.

Bei rechtlicher Würdigung und Unterstellung der Aussage der Zeugin S., dass der Beklagte zu 2) abgebogen ist, obwohl sich auf der Gegenfahrbahn herannahende bevorrechtigte Fahrzeuge befanden und jedenfalls sogar nach der Aussage des Zeugen K. ein zügiges Abbiegen durch einen aus der Gegenrichtung rechts Einbiegenden verhindert wurde, ist eine Haftungsverteilung von 2/3 zu 1/3 zu Lasten des Klägers kaum zu rechtfertigen, bleibt der Kläger doch auch trotz eines Überholmanövers gegenüber dem Linksabbiegenden vorfahrtsberechtigt.

Der Senat hat im vorliegenden Falle nicht von der Möglichkeit einer eigenen Sachentscheidung nach § 538 I ZPO Gebrauch gemacht, weil dies hier nicht sachdienlich erscheint.

Ein unberechtigtes Übergehen eines Beweisantrags stellt einen wesentlichen Verfahrensmangel im Sinne § 538 II 1 Nr. 1 ZPO dar (BGH NJW 1951, 481 [482]; OLG München [10. ZS] NJW 1972, 2048; v. 17.12.2010 - 10 U 1753/10 [Juris]; Urt. v. 5.2.2008 - 30 U 563/07 [Juris, dort Rz. 26]; OLG Frankfurt, Urt. v. 28.4.2010 - 9 U 133/09 [Juris, dort Rz. 29]; v. 20.7.2010 - 22 U 1410 = NZV 2010, 623; KG, Urt. v. 14.2.2010 - 12 U 67/10 [Juris = NJW-Spezial 2011, 202 f. [Ls., Kurzwiedergabe]]). Eine Beweisaufnahme in dem hier vorzunehmenden Umfang (Zeugeneinvernahme, Anhörung einer Partei und unfallanalytisches Sachverständigengutachten) wäre umfangreich i.S.d. § 538 II 1 Nr. 1 ZPO und würde den Senat zu einer mit der Neukonzeption der Berufung durch das ZPO-RG unvereinbaren z.T. erstmaligen, z.T. wiederholen der Beweisaufnahme an Stelle der 1. Instanz zwingen (OLG München in st. Rspr., zuletzt etwa Urt. v. 5.11.2010 - 10 U 2401/10 [VersR 2011, 549 ff. m. zust. Anm. Hoffmann] und v. 22.7.2011 - 10 U 1481/11). Eine schnellere Erledigung des Rechtsstreits durch den Senat ist angesichts seiner Geschäftsbelastung keinesfalls zu erwarten.

Die Frage der Zurückverweisung wurde auch in der mündlichen Verhandlung mit den Parteivertretern ausführlich erörtert. Beide Parteivertreter sind einer Zurückverweisung nicht entgegengetreten.

II. Die Kostenentscheidung war dem Erstgericht vorzubehalten, da der endgültige Erfolg der Berufung erst nach der abschlie...

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