Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftungsverteilung bei Verletzung der Wartepflicht durch Radfahrer, der einen Geh- und Radweg entgegen der vorgeschriebenen Fahrtrichtung benutzt

 

Normenkette

BGB § 254 Abs. 1, § 823 Abs. 1-2; StVG § 7 Abs. 1, § 9; StVG § 18 Abs. 1; StVO §§ 2, 9 Abs. 3 S. 2, § 10 S. 1, § 26

 

Verfahrensgang

LG München II (Urteil vom 10.11.2015; Aktenzeichen 12 O 2088/13)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Beklagten vom 14.12.2015 wird das Endurteil des LG München II vom 10.11.2015 samt Ergänzungsurteil vom 02.02.2016 (Az. 12 O 2088/13) abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagten werden verurteilt, samtverbindlich an die Klägerin einen Betrag von 164,73 EUR zu bezahlen, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 29.11.2011.

2. Die Beklagten werden verurteilt, samtverbindlich an die Klägerin ein weiteres Schmerzensgeld von 700,- EUR zu bezahlen, nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 29.11.2011.

3. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten von 213,30 EUR zu bezahlen.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen die Klägerin 84 Prozent, die Beklagten samtverbindlich 16 Prozent. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Klägerin 89 Prozent, die Beklagten samtverbindlich 11 Prozent.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

V. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

A. Die Klägerin macht gegen die Beklagten Ansprüche auf Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall geltend, die in erster Instanz im Wesentlichen zu drei Vierteln zuerkannt worden sind. Hinsichtlich der Erwägungen des Erstgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils (Bl. 177/183 d.A.) Bezug genommen.

Von weiterer Darstellung der Einzelheiten der tatsächlichen Feststellungen wird abgesehen (§§ 540 II, 313a I 1 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO).

B. Die statthafte, sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung der Beklagten ist in der Sache - bis auf einen leicht erhöhten Schmerzensgeldbetrag - in nahezu vollem Umfang erfolgreich.

I. Das LG hat zu Recht Schadensersatzansprüche der Klägerin gegen die Beklagten grundsätzlich zuerkannt, aus der Gefährdungshaftung des Fahrzeughalters und Haftpflichtversicherers (§§ 7 I StVG, 115 I Nr. 1 VVG), aus vermutetem Verschulden des Fahrzeugführers (§ 18 I StVG) und - wenngleich die Entscheidungsgründe dies nicht ausdrücklich erwähnen - aus nachzuweisendem Verschulden des unerlaubt Handelnden (§ 823 I, II BGB). Einschränkungen und Kürzungen der erhobenen Ansprüche beruhten zum einen auf dem mit einem Viertel bewerteten Mitverschulden der Fahrrad fahrenden Klägerin durch Benutzung eines Fahrradweges entgegen der vorgesehenen Fahrtrichtung, zum anderen auf der aus Rechtsgründen fehlenden Erstattungsfähigkeit fiktiver Reparaturkosten, eines Kostenvoranschlages und eines Haushaltsführungsgutachtens. Wegen der Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des Ersturteils sowie des Ergänzungsurteils vom 02.02.2016 (Bl. 217 d.A.) verwiesen.

Von diesen Ergebnissen erweisen sich, die auch der Klägerin vorzuwerfende Verletzung straßenverkehrsrechtlicher Sorgfaltspflichten und daraus folgend die Haftungsverteilung als weder zutreffend, noch überzeugend begründet, ohne dass eine erneute Beweisaufnahme durch den Senat notwendig gewesen wäre. Die notwendige Berichtigung bringt zu Tage, dass die Klägerin erstens zum Unfallzeitpunkt an der Unfallstelle nicht vorfahrtsberechtigt war und deswegen nicht in den Einmündungsbereich einfahren durfte, sowie folglich der Beklagte zu 1) keine Vorfahrtsverletzung begangen hatte und der jeweilige Haftungsanteil umgekehrt zu bewerten war. Dagegen waren Mängel hinsichtlich des erstgerichtlich festgestellten Haushaltsführungsschadens nicht festzustellen.

a) Die erstinstanzliche Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen (Senat, Urt. v. 31.07.2015 - 10 U 4733/14 [BeckRS 2015, 13736]; Urt. v. 24.01.2014 - 10 U 1673/13 [juris, Rz. 16]) ist nicht zu beanstanden, deswegen ist der Senat hieran nach § 529 I Nr. 1 ZPO für das weitere Verfahren gebunden. Eine solche Bindung entfiele nur dann, wenn diese Feststellungen offensichtlich lückenhaft, widersprüchlich oder unzutreffend wären (BGH WM 2015, 1562), und somit konkrete Anhaltspunkte Zweifel an deren Richtigkeit oder Vollständigkeit wecken würden (BGH NJW 2003, 3480). Solche Anhaltspunkte, die erneute, erweiterte oder ergänzende Feststellungen gebieten könnten, haben die Beklagten nicht aufzeigen können, sie ergeben sich auch nicht aus der etwa vom Senat von Amts wegen vorzunehmenden (so BGH [V. ZS] NJW 2004, 1876; [VI. ZS] NJW 2014, 2797) Überprüfung.

1. Die im Rahmen des Mitverschuldens (§ 254 I BGB) zu berücksichtigenden und von den Beklagten zu beweisenden straßenverkehrsrechtlichen Sorgfaltspflichtverletzungen der Klägerin bestehen, anders...

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