Entscheidungsstichwort (Thema)

Internetpranger II

 

Leitsatz (amtlich)

Soweit im Rahmen einer medialen Berichterstattung die öffentliche Anprangerung einzelner Personen mit Foto und unter Namensnennung ausdrücklich bezweckt wird, können die Persönlichkeitsbelange der Angeprangerten auch dann überwiegen, wenn Medien im Rahmen ihrer Presse- und Informationsfreiheit auf Missstände in der Gesellschaft hinweisen und die Angeprangerten zuvor durch ihr Verhalten den Bereich der Privatsphäre verlassen haben und deren visuelles Selbstdarstellungsrecht dadurch erheblich an Gewicht verloren hat.

 

Normenkette

GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 1; KUG §§ 22-23

 

Verfahrensgang

LG München I (Urteil vom 09.03.2017; Aktenzeichen 7 O 8254/16)

 

Tenor

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts München I vom 9. März 2017 wird zurückgewiesen.

II. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

III. Dieses Urteil und das Urteil des Landgerichts sind vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung aus Ziffer 1. des landgerichtlichen Urteils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 25.000,- EUR abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Im Übrigen kann die Beklagte die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115% des zu vollstreckenden Betrags leistet.

 

Gründe

I. Die Klägerin macht Unterlassungs- und Folgeansprüche wegen der Veröffentlichung ihres Facebook-Profilbildes durch die Beklagte auf www.bild.de geltend.

Die Klägerin ist Nutzerin des sozialen Netzwerks Facebook und veröffentlichte dort am 16. Oktober 2015 im Rahmen der Diskussion über den Flüchtlingszustrom folgenden Eintrag:

((Abbildung))

Das Profilbild zeigt ein Foto der Klägerin. Das Facebook-Profil mit ihrem Foto war im Oktober 2015 im Internet bei gezielter Eingabe des Namens der Klägerin für jedermann ohne Einschränkung aufruf- und einsehbar und nicht durch Zugriffssperren geschützt.

Die Beklagte bietet unter www.bild.de die Online-Ausgabe der Bild-Zeitung an und veröffentlichte dort am 20. Oktober 2015 unter der Überschrift Hass auf Flüchtlinge - BILD stellt die Hetzer an den Pranger folgenden Artikel, der neben weiteren rund 40 Facebook-Einträgen anderer Nutzer auch den Facebook-Eintrag der Klägerin vom 16. Oktober 2015 mit ihrem Profilbild wiedergibt (Anlage K 2):

((Abbildungen))

Die in dem Artikel eingeblendeten Facebook-Einträge hatte die Beklagte von der Facebook-Seite kopiert und als Screenshots mit den jeweiligen Namen und Profilbildern der Verfasser der Kommentare auf www.bild.de in den redaktionellen Teil des Artikels eingearbeitet.

Mit anwaltlichen Schreiben vom 26. Oktober 2015 forderte die Klägerin die Beklagte zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf und verlangte Schadensersatz sowie Schmerzensgeld (Anlage K 3). Mit Schreiben vom 4. November 2015 antwortete die Beklagte, die Klägerin möge ihre Forderungen gerichtlich geltend machen (Anlage K 4).

Die Klägerin sieht sich durch die Veröffentlichung ihres Bildes auf www.bild.de in ihrem Urheber-, Kunsturheber- und Persönlichkeitsrecht verletzt. Insbesondere habe sie nicht in die Veröffentlichung ihres Bildes eingewilligt; die Verbreitung des Bildnisses sei auch nicht ausnahmsweise nach § 23 KUG zulässig.

Die Klägerin hat in erster Instanz beantragt, der Beklagten zu verbieten, ihr Foto auf der Website www.bild.de wie geschehen am 20. Oktober 2015 zu veröffentlichen, festzustellen, dass die Beklagte zum Ersatz des entstandenen Schadens verpflichtet ist, und die Beklagte zur Auskunftserteilung sowie zur Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von mindestens 3.000,- EUR und vorgerichtlicher Abmahnkosten in Höhe von 1.171,67 EUR nebst Zinsen hieraus seit 8. November 2015 zu verurteilen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Auffassung, dass weder ein Verstoß gegen das UrhG noch gegen §§ 22, 23 KUG vorliege. Die Klägerin habe durch die Verwendung ihres Fotos als Profilbild auf Facebook konkludent in die Verbreitung im gesamten Internet und somit auch auf www.bild.de eingewilligt. Jedenfalls stelle das Foto ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte i. S. d. § 23 Abs. 1 Nr. 1 KUG dar, dessen Veröffentlichung keine berechtigten Interessen der Klägerin verletze.

Mit Urteil vom 9. März 2017, auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat das Landgericht die Klage hinsichtlich der Folgeansprüche überwiegend abgewiesen und wie folgt erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes (im Einzelfall bis zu EUR 250.000,00) und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungshaft zu vollziehen an den Geschäftsführern der Beklagten, insgesamt bis zu zwei Jahren) zu unterlassen,

die nachfolgende Fotografie

((Abbildung...

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