Entscheidungsstichwort (Thema)

Rechtswidrige Verwerfung des Ablehnungsgesuchs wegen Besorgnis der Befangenheit durch abgelehnten Richter auch bei Unterbrechung der Hauptverhandlung. rechtzeitiges Ablehnungsgesuch nach zuwartender Verfestigung des Eindrucks möglicher Befangenheit

 

Leitsatz (amtlich)

›1. Nach dem Beginn der Hauptverhandlung ist die Verwerfung eines Ablehnungsgesuchs wegen der Besorgnis der Befangenheit als unzulässig durch den abgelehnten Richter und weitere Mitglieder der Strafkammer, die nicht an der Hauptverhandlung teilnehmen, mit der sich aus den §§ 26 a, 27 StPO ergebenden Zuständigkeitsregelung auch dann nicht vereinbar, wenn die Hauptverhandlung unterbrochen worden ist.

2. Ein Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG kommt auch dann in Betracht, wenn sich die Verwerfung eines Ablehnungsgesuchs als unzulässig nach § 26 a Abs. 1 Ziff. 1 StPO als unhaltbar im Sinne einer groben Fehlanwendung des Gesetzesrechts erweist (im Anschluss an BVerfG vom 2.6.2005 JURIS Nr. KVRE330490501).

3. Ein Ablehnungsgesuch ist auch dann rechtzeitig im Sinne von § 26 a Abs. 1 Ziff. 1 StPO, wenn der Angeklagte nicht schon den ersten Eindruck möglicher Befangenheit des Richters zum Gegenstand eines Ablehnungsgesuchs macht, sondern zuwartet, bis sich dieser Eindruck in weiteren Verfahren durch das Verhalten des Richters verfestigt.‹

 

Verfahrensgang

LG München I (Entscheidung vom 24.04.2006)

 

Gründe

I.

1. Das Amtsgericht München hat den Angeklagten am 19.9.2005 wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu je 15 EUR verurteilt. Die hiergegen gerichtete Berufung des Angeklagten hat das Landgericht München I mit Urteil vom 24.4.2006 verworfen.

Die Berufungshauptverhandlung bestand aus mehreren Verhandlungstagen. Am Ende des ersten Hauptverhandlungstages, dem 14.3.2006, wurde die Hauptverhandlung unterbrochen. Ein Fortsetzungstermin wurde im Büroweg bestimmt. Im Vorfeld dieser Terminsbestimmung teilte der Vorsitzende einer Mitarbeiterin in der Kanzlei des Verteidigers des Angeklagten fernmündlich den von ihm ins Auge gefassten Termin, den 27.3.2006, 13.00 Uhr, mit. Die Kanzleimitarbeiterin erklärte sich befugt, Termine für den nicht anwesenden Verteidiger mit dem Vorsitzenden des Gerichts abzusprechen. Sie erklärte, eine Hauptverhandlung am 27.3.2006 um 13.00 Uhr sei möglich, der Verteidiger habe jedoch an demselben Tag noch um 15.00 Uhr einen anderen Termin in einem anderen Justizgebäude. Der Vorsitzende erklärte daraufhin, er könne im Hinblick auf die maximal dreiwöchige Unterbrechungsfrist und im Hinblick darauf, dass es sich bei dem 27.3.2006 um einen außerordentlichen Sitzungstag handle, auf den Termin des Verteidigers um 15.00 Uhr keine Rücksicht nehmen. Er fügte noch hinzu, "da muss ich ihn dann zwingen", da andernfalls die Hauptverhandlung "platzt".

Zu diesem Fortsetzungstermin lud der Vorsitzende zwei mehrere 100 km vom Gerichtsort entfernt wohnende Polizeibeamte als Zeugen auf 13.00 Uhr.

Der Fortsetzungstermin am 27.3.2006 konnte nicht wie vorgesehen um 13.00 Uhr beginnen, da versehentlich die Schöffen nicht geladen worden waren. Nach Beginn des Fortsetzungstermins um 14.03 Uhr gab der Verteidiger des Angeklagten eine Erklärung ab, wonach nach Auskunft seiner Kanzlei der Vorsitzende darauf hingewiesen worden war, dass der Verteidiger um 15.00 Uhr einen anderen Termin habe. Dies sollte berücksichtigt werden. Er müsse daher die Hauptverhandlung spätestens um 14.45 Uhr verlassen. Hierauf erklärte der Vorsitzende, eine Zusicherung, wie vom Verteidiger mündlich vorgetragen, der Termin werde um 15.00 Uhr beendet sein, sei anlässlich der Terminsbestimmung gegenüber der Kanzlei des Verteidigers nicht erfolgt. Des weiteren erklärte der Vorsitzende, es liege kein Fall notwendiger Verteidigung vor.

Nach Beendigung der Einvernahme des ersten Zeugen um 14.40 Uhr beantragte der Verteidiger eine Unterbrechung der Hauptverhandlung. Der Vorsitzende lehnte eine Unterbrechung mit Hinweis darauf, dass die noch zu hörende Zeugin von weither angereist sei, ab. Der Verteidiger beantragte hierzu einen Beschluss der Kammer, die nach geheimer Beratung den Unterbrechungsantrag des Verteidigers zurückwies. Um 14.49 Uhr stellte der Verteidiger daraufhin namens des Angeklagten einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden der Berufungskammer. Dieser Antrag wurde im Wesentlichen damit begründet, der Vorsitzende habe trotz Zusicherung, den Termin bis 15.00 Uhr zu beenden, den Unterbrechungsantrag um 14.45 Uhr zurückgewiesen, obwohl der verspätete Verhandlungsbeginn auf die Nichtladung der Schöffen zurückzuführen gewesen sei. Der abgelehnte Richter habe zu erkennen gegeben, dass er ohne den Verteidiger weiterverhandeln wolle, obwohl dieser ihn darauf hingewiesen habe, dass der Angeklagte darauf nicht vorbereitet sei, da er darauf vertraut habe, mit Verteidiger auftreten zu können.

Der Verteidiger verließ anschließend den Sitzungssaal. Die Hauptverhandlung wurde mit der Einvernahme des zweiten Zeugen fortges...

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