Leitsatz (amtlich)

Will sich der Erblasser eines Dritten als Werkzeug zur Vernichtung eines Testaments bedienen, darf er diesem keinen Entschluss- oder Handlungsspielraum belassen. Wird der Auftrag nicht zu Lebzeiten des Erblassers ausgeführt, liegt kein wirksamer Widerruf vor.

 

Normenkette

BGB § 2255

 

Verfahrensgang

AG Rosenheim (Beschluss vom 06.12.2010; Aktenzeichen VI 0700/10)

 

Tenor

I. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des AG Rosenheim vom 6.12.2010 wird zurückgewiesen.

II. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 62.500 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Erblasserin ist im Mai 2010 im Alter von 95 Jahren verstorben. Ihr Ehemann ist 1945 vorverstorben. Die Beteiligten zu 1 und 2 sind ihre Töchter; die Beteiligten zu 3 und 4 sind die leiblichen Kinder der Beteiligten zu 1.

Der Nachlass besteht im Wesentlichen aus dem Hausgrundstück der Erblasserin im Wert von rund 250.000 EUR.

Es liegen zwei handschriftlich verfasste letztwillige Verfügungen vor. Das Testament vom 31.5.2009 lautet:

"Meine Töchter C. und E. sollen meine Erbinnen zu gleichen Teilen werden. Meine Enkel H. und M. sollen Nacherben zu gleichen Teilen nach meinen Töchtern C. und E. werden."

Mit Testament vom 23.6.2009 wird bestimmt:

"Für den Fall meines Ablebens verfüge ich über mein Vermögen wie folgt. Meine beiden Töchter C. W. und E. J. erhalten mein Haus zu gleichen Teilen. Barvermögen fällt an meine Tochter C. als Ausgleich für die seinerzeitige Übereignung des angrenzenden Grundstücks."

Beide Testamente wurden jeweils im verschlossenen Umschlag nach dem Tod der Erblasserin von ihrem Neffen beim Nachlassgericht vorgelegt, dem sie zu Lebzeiten der Erblasserin zur Aufbewahrung übergeben bzw. übersandt worden waren.

Die Beteiligte zu 2 hat die Erteilung eines Erbscheins aufgrund des Testaments vom 23.6.2009 beantragt, der sie und die Beteiligte zu 1 als Miterben zu gleichen Teilen ausweist. Die Beteiligte zu 1 und der Beteiligte zu 3 sind dem entgegengetreten mit der Begründung, nach dem im Winter 2009 und erneut im Frühjahr 2010 geäußerten Willen der Erblasserin habe das Juni-Testament durch den Neffen vernichtet werden sollen, was jedoch nicht geschehen sei. Das könne nicht zu Lasten des Willens der Erblasserin gehen, die zur Errichtung eines Widerrufstestaments körperlich nicht mehr in der Lage gewesen sei.

Das Nachlassgericht hat mit Beschluss vom 6.12.2010 den von der Beteiligten zu 2 beantragten Erbschein bewilligt. Dagegen richtet sich die Beschwerde der Beteiligten zu 1.

II. Die zulässige Beschwerde ist nicht begründet. Der vom Nachlassgericht bewilligte Erbschein entspricht der Erbrechtslage.

1. Maßgeblich für die Erbfolge ist das Testament vom 23.6.2009. In diesem Testament hat die Erblasserin umfassend und abschließend über ihr gesamtes Vermögen verfügt, wie sich schon aus dem Eingangssatz ergibt. Das vorhergehende Testament vom 31.5.2009 ist deshalb insgesamt aufgehoben (§ 2258 Abs. 1 BGB).

2. Ein wirksamer Widerruf des Testaments vom 23.6.2009, der zur (erneuten) Wirksamkeit des früheren Testaments führen könnte (§ 2258 Abs. 2 BGB), liegt nicht vor.

a) Ein Widerruf kann durch Testament erfolgen (§ 2254 BGB) oder dadurch, dass der Erblasser in der Absicht, das Testament aufzuheben, die Testamentsurkunde vernichtet oder an ihr Veränderungen vornimmt, durch die der Wille, eine schriftliche Willenserklärung aufzuheben, ausgedrückt zu werden pflegt (§ 2255 Satz 1 BGB). Hier kommt nur ein Widerruf nach § 2255 BGB in Betracht. Dieser setzt objektiv eine körperliche Veränderung der Testamentsurkunde und subjektiv die Absicht seiner Aufhebung voraus. Fehlt eine dieser Voraussetzungen, liegt kein wirksamer Widerruf vor. § 2255 Abs. 1 Satz 1 BGB setzt ferner voraus, dass der Erblasser selbst die Vernichtung oder Veränderung der Testamentsurkunde vornimmt, also persönlich handelt. Dabei kann es auch als persönliches Handeln angesehen werden, wenn er sich eines Dritten als unselbständigem Werkzeug bedient, der in seinem Auftrag und mit seinem Willen die Urkunde vernichtet; dem Dritten darf dabei kein Entschluss- und Handlungsspielraum verbleiben (vgl. BayObLG FamRZ 1992, 1350/1351; OLG Hamm NJW-RR 2002, 222/223; Soergel/Mayer, BGB, 13. Aufl., § 2255 Rz. 11; Palandt/Weidlich, BGB, 70. Aufl., § 2255 Rz. 4; noch strenger Staudinger/Baumann, BGB [2003], § 2255 Rz. 16: Ausführung muss in Gegenwart des Erblassers erfolgen). Wird der dem Dritten erteilte Auftrag zur Vernichtung - gleich aus welchem Grund - nicht zu Lebzeiten des Erblassers ausgeführt, liegt kein wirksamer Widerruf vor (Hagena in MünchKomm/BGB, 5. Aufl., § 2255 Rz. 13).

b) Hier ist die Testamentsurkunde weder vernichtet noch verändert worden; das zu Lebzeiten der Erblasserin bei ihrem Neffen verwahrte Testament wurde nach ihrem Tod unversehrt im verschlossenen Umschlag beim Nachlassgericht eingereicht. Damit ist das Testament vom 23.6.2009 nicht widerrufen und weiterhin wirksam. Es kann deshalb dahinstehen, ob die Erblasserin - wie von der Beteiligten zu 1 und dem Beteilig...

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