Leitsatz (amtlich)

Eine Pflichtteilsstrafklausel kann auch dann eingreifen, wenn der Pflichtteilsberechtigte die Unwirksamkeit des gemeinschaftlichen Testaments geltend macht und seinen gesetzlichen Erbteil fordert.

 

Normenkette

BGB §§ 2075, 2269-2270

 

Verfahrensgang

AG Starnberg (Beschluss vom 03.09.2010; Aktenzeichen VI 0555/09)

 

Tenor

I. Die Beschwerde der Beteiligten zu 1 gegen den Beschluss des AG Starnberg vom 3.9.2010 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligte zu 1 hat die der Beteiligten zu 2 im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

III. Der Geschäftswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 315.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Der verwitwete Erblasser ist 2009 im Alter von 92 Jahren verstorben. Seine Ehefrau ist 2008 im Alter von 84 Jahren vorverstorben. Die beiden Beteiligten sind die gemeinsamen Kinder.

Der Nachlass besteht im Wesentlichen aus einer Eigentumswohnung samt Garage in M. (Wert: 165.000 EUR), zwei Tiefgaragenstellplätzen in M. (Wert derzeit nicht ermittelt) sowie einem bebauten Grundstück in W. samt Grünfläche (Wert: 1.195.000 EUR) sowie Guthaben i.H.v. ca. 56.000 EUR sowie sonstiges Vermögen i.H.v. ca. 14.000 EUR.

Es liegt ein handschriftlich geschriebenes gemeinschaftliches Testament der Eheleute vom 6.12.2006 vor, das im Wesentlichen folgenden Wortlaut hat:

"Wir setzen uns gegenseitig zu Vollerben ein (Ehegattentestament). Gesetzlich vorgesehene Pflichterbteile verbleiben im Eigentum des überlebenden Ehepartners. Pflichtanteilsberechtigte verzichten auf ihre Ansprüche. Sollte ein Pflichtteilsberechtigter seinen Erbteil fordern, wird er auch nach dem Tod des zweiten Erblassers auf den dann entstehenden Pflichtanteil beschränkt. Für den Fall, dass auch der zweite Erblasser verstirbt bekommt unsere Tochter S. B. (= Beteiligte zu 2) den Anteil (Ort) (Anwesen mit Haus und zweitem Seeplatz unten am See), unsere Tochter Dr. M. S. (= Beteiligte zu 1) die Eigentumswohnung (Ort) mit Garage. Die eine Garage (Ort) bekommt S. B., die zweite Garage (Ort) unsere Enkelin (...). Die Wohnung (Ort) wird aufgelöst. Die Wertgegenstände werden der Reihe nach aufgelöst, mit Wahl 1. (Beteiligte zu 2), 2. (Beteiligte zu 1), 3. (Beteiligte zu 1), 4. (Beteiligte zu 2) usw.

(Unterschrift des Erblassers)

Die Nutzung des Seeanteils muss für M. S. (= Beteiligte zu 1) und H. J. gewährleistet bleiben.

(Unterschrift Erblasser) (Unterschrift vorverstorbene Ehefrau des Erblassers)."

In dem Nachlassverfahren nach der vorverstorbenen Ehefrau des Erblassers trat die Beteiligte zu 1 der Erteilung des vom Erblasser beantragten Erbscheins, der ihn als Alleinerben ausweist, entgegen. Sie vertrat dabei die Auffassung, dass entsprechend dem Willen ihrer Mutter gesetzliche Erbfolge nach deren Tod eingetreten sei. Im Übrigen hätte ihre Mutter kein formgültiges Testament errichten können. Demgemäß stellte sie selbst in dem Nachlassverfahren formlos einen entsprechenden Erbscheinsantrag. Ihre Beschwerde gegen den zugunsten des Erblassers ergangenen Vorbescheid blieb erfolglos.

Des Weiteren liegt ein notarielles Testament des Erblassers vom 28.11.2008 vor, in dem er die Beteiligte zu 2 als Alleinerbin eingesetzt und die Beteiligte zu 1 ausdrücklich enterbt hat.

Die Beteiligte zu 2 hat am 20.1.2010 die Erteilung eines Erbscheins beantragt, der sie als Alleinerbin nach dem Erblasser ausweist. Die Beteiligte zu 1 ist dem entgegengetreten und beantragte ihrerseits mit Schreiben vom 16.4.2010 die Erteilung eines Erbscheins, der die Beteiligten zu 1 und 2 als Miterbinnen zu je 1/2 ausweist. Sie ist der Auffassung, dass das gemeinschaftliche Testament eine Schlusserbeneinsetzung der Beteiligten zu 1 und 2 vorsehe, sofern bei dem ersten Erbfall keine Pflichtteilsansprüche geltend gemacht und durchgesetzt werden. Eine Pflichtteilstrafklausel für die Kinder könne ein Anhaltspunkt dafür sein, dass die Ehegatten mit einer solchen Regelung zugleich die pflichtteilsberechtigten Abkömmlinge als Erben des Letztversterbenden berufen wollten, weil sie dies als selbstverständliche Voraussetzung erachtet hätten, so dass sich die Erbeinsetzung quasi hinter der Strafklausel verberge. Diese Einsetzung von Schlusserben könne sich aus der Verteilung nach Gegenständen ergeben, selbst wenn dabei bezüglich eines angegebenen Gegenstandes offen bliebe, wer diesen erhalten soll. Die Eheleute hätten in dem gemeinschaftlichen Testament den Nachlass ganz aufgeteilt, da die in dem gemeinschaftlichen Testament aufgeführten Immobilien nach der Vorstellung der Eheleute bei Testamentserrichtung praktisch ihr gesamtes Vermögen ausmachten. Die jeweiligen Erbquoten ergäben sich dann aus dem Verhältnis des Wertes des zugewendeten Vermögensteils zum Wert des Gesamtnachlasses, wobei gegebenenfalls einem Miterben ein Vorausvermächtnis zugewendet worden sei.

Mit Beschluss vom 3.9.2010 wies das Nachlassgericht den Erbscheinsantrag der Beteiligten zu 1 zurück und bewilligte einen Erbschein gemäß dem Antrag der Beteiligten zu 2. Nach Auffassung des Nachlassgerichts hätt...

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