Verfahrensgang

LG München I (Beschluss vom 21.12.2012; Aktenzeichen 9 O 26840/12)

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des LG München I vom 21.12.2012 aufgehoben und folgende einstweilige Verfügung erlassen:

Einstweilige Verfügung

Dem Antragsgegner wird auferlegt, bei Meidung von Ordnungsgeld bis zu 250.000 EUR und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, von Ordnungshaft oder von Ordnungshaft bis zu sechs Monaten für jeden Fall der Zuwiderhandlung, es im Rahmen der Aufführung seines Bühnenprogramms "Schmerzfrei" zu unterlassen, den Antragsteller in Bezug auf die Zeugung seines Kindes mit ... als 1,50 m geballte Erotik, mit 40 Kilo zuviel auf der künstlichen Hüfte, ein künstliches Gebiss tragend und dieses beim Küssen schon mal in die Tasche steckend, zu beschreiben und dann die Zuschauer aufzufordern, sich das Bild der Zeugung des Kindes vorzustellen und dabei "iiiiiiiiii" als Ausdruck des Ekels allein und/oder nach Aufforderung des weiblichen Publikums zusammen mit diesem auszurufen.

2. Im Übrigen wird die sofortige Beschwerde zurückgewiesen.

3. Von den Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens trägt der Antragsgegner 9/10 und der Antragsteller 1/10.

4. Der Beschwerdewert wird auf 20.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Hinsichtlich des Sachverhalts wird auf Ziff. I. des Beschlusses des LG München I vom 21.12.2012 Bezug genommen.

Mit Beschluss des LG München I vom 21.12.2012, dem Antragsteller zugestellt am 31.12.2012, hat das LG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 14.12.2012 zurückgewiesen. Mit Schriftsatz vom 4.1.2013, eingegangen am 8.1.2013 hat der Antragsteller sofortige Beschwerde eingelegt. Er ist der Auffassung, es handele sich um eine Schmähung. Seine Intimsphäre werde verletzt. Es würden unwahre Tatsachenbehauptungen aufgestellt.

Wegen des Antrags des Antragstellers im Beschwerdeverfahren wird Bezug genommen auf den Schriftsatz des Antragstellers vom 14.12.2012 (Bl. 1/2 d.A.) in Verbindung mit dem Schriftsatz vom 4.1.2012 (Bl. 22 d.A.).

Der Antragsgegner beantragt, die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Der Antragsgegner ist der Auffassung, dass es sich lediglich um polemische und überspitzte Äußerungen handele, die gegebenenfalls drastisch und übertrieben wahrgenommen werden könnten, sich dabei aber eindeutig im Rahmen der Satirefreiheit bewegten. Die Einbeziehung des Publikums stelle dabei lediglich ein frei gewähltes Stilmittel dar, um Spott und Übertreibung noch einmal zu verdeutlichen, Aufmerksamkeit zu erlangen sowie beim Publikum Lacheffekte hervorzurufen. Im Übrigen und hinsichtlich seines Antrags wird auf den Schriftsatz des Antragsgegners vom 16.1.2013 (Bl. 32/41 d.A.) Bezug genommen.

II. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist im tenorierten Umfang begründet, § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog, § 823 Abs. 1 BGB, Art. 2 Abs. 1, Art. 1 Abs. 1 GG. Die betreffenden Äußerungen verletzen den Antragsteller rechtswidrig schwer in seinem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Wiederholungsgefahr ist gegeben.

1. Dabei ist davon auszugehen, dass auch der vom Antragsteller angegriffene Teil des Bühnenprogramms des Antragsgegners als Kunst i.S.d. Art. 5 Abs. 3 S. 1 GG anzusehen ist.

a) Nicht ausreichend für diese Bewertung ist allerdings der Umstand, dass der streitgegenständliche Beitrag durch satirische Verfremdung geprägt wird. Satire kann Kunst sein; nicht jede Satire ist jedoch Kunst. Das ihr wesenseigene Merkmal, mit Verfremdungen, Verzerrungen und Übertreibungen zu arbeiten, kann ohne weiteres auch ein Mittel der einfachen Meinungsäußerung sein (BVerfGE 86, 1 - Titanic, "geb. Mörder", Krüppel).

b) Das BVerfG hat drei Wesensmerkmale der Kunst unterschieden, die "in ihrer Gesamtheit im konkreten Einzelfall eine Entscheidung ermöglichen" sollen, ob ein Sachverhalt in den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 3 GG fällt. Erstens kommt es darauf an, ob es sich um eine "freie schöpferische Gestaltung" handelt, "in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden". Zweitens kann entscheidend darauf abgestellt werden, ob "bei formaler, typologischer Betrachtung die Gattungsanforderungen eines bestimmten Werktyps erfüllt" sind wie Malerei, Bildhauerei, Dichtung etc. Schließlich kann das entscheidende Merkmal künstlerischer Betätigung darin gesehen werden, dass "es wegen der Mannigfaltigkeit ihres Aussagegehalts möglich ist, der Darstellung im Wege einer fortgesetzten Interpretation immer weiterreichende Bedeutungen zu entnehmen" (BVerfGE 67, 213 - Anachronistischer Zug; vgl. von Becker, Werbung Kunst Wirklichkeit, GRUR 2001, 1101). Hiernach handelt es sich bei der streitgegenständlichen Darbietung um Kunst. Schöpferische Elemente sind nicht nur im Inhalt, sondern auch in der Art ihrer bühnenhaften Umsetzung zu sehen. Diese stellt zugleich eine der klassischen Formen künstlerischer Äußerung dar.

c) Dabei bezieht sich die Kunstfreiheit auch dann au...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge