Entscheidungsstichwort (Thema)

Kaufvertrag über ein vom sogenannten Abgasskandal betroffenes Fahrzeug: Rechtsmissbrauch bei Anmeldung zu einer Musterfeststellungsklage mit dem wesentlichen Motiv der Verjährungshemmung.

 

Leitsatz (amtlich)

1. Sowohl der Gesetzeswortlaut des § 204 Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 2 S. 2 BGB als auch Sinn und Zweck der Normierung der Musterfeststellungsklage sprechen gegen die Annahme eines Rechtsmissbrauchs bei Anmeldung zu einer Musterfeststellungsklage mit dem wesentlichen Motiv der Verjährungshemmung. (Rn. 11)

2. Ein wesentlicher Grund für die eilig betriebene gesetzliche Regelung der Musterfeststellungklage noch im Jahr 2018 war die Verhinderung des Verjährungseintritts von Ansprüchen aus dem Dieselskandal. (Rn. 23)

3. Ein Beklagter kann sich mit Erhebung einer Musterfeststellungsklage darauf einstellen, dass bei Ansprüchen mit demselben Lebenssachverhalt zunächst Verjährungshemmung eintritt und nur für die Verbraucher wieder entfällt, die ihre Ansprüche nicht bzw. nicht wirksam zum Klageregister anmelden. (Rn. 24)

 

Normenkette

BGB §§ 31, 195, 199 Abs. 1, § 204 Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 2 S. 2, §§ 242, 826; ZPO § 608 Abs. 3, § 610 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LG Ingolstadt (Aktenzeichen 21 O 1248/19)

 

Tenor

Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme

  • zu den nachstehenden Hinweisen einschließlich der Streitwertfestsetzung
  • und zur Bereitschaft zur vergleichweisen Beendigung des Verfahrens durch Zahlungs- oder Rückgabevergleich bis zum 07.09.2020.
 

Gründe

I. Gegenstand des Rechtsstreits sind Ansprüche, die die Klagepartei gegen die Beklagte in der Folge des sog. Dieselabgasskandals geltend macht.

1. Die Klagepartei erwarb am 11.06.2013 zu einem Preis von 44.109,00 EUR brutto (Anlage K1) von einem Autohaus einen Neuwagen ..., Erstzulassung 2013, der mit einem Dieselmotor des Typs EA 189, Schadstoffnorm Euro 5 ausgestattet ist. Die Beklagte ist die Herstellerin des Motors. Der Kilometerstand bei Erwerb betrug 20 km, am 10.02.2020 betrug er 127.411 km.

Die Klagepartei hatte sich im Klageregister der Musterfeststellungsklage am OLG Braunschweig, Az.: 4 MK 1/18, eingetragen, diese Anmeldung am 20.05.2019 zurückgenommen und mit Schriftsatz vom 28.05.2019 Klage erhoben. Die Beklagte erhob mit Schriftsatz vom 24.09.2019 (Bl. 59 ff. d.A.) die Einrede der Verjährung.

Die Beklagtenpartei behauptet unter Berufung auf die umfangreiche Medienberichterstattung zum Dieselabgasskandal ab Herbst 2015 einschließlich der dortigen Information über die Möglichkeit zur Recherche der Betroffenheit einzelner Fahrzeuge auf der von der Beklagten bereitgestellten Internetseite mittels der FIN, die Klagepartei habe schon im Jahr 2015 Kenntnis erlangt von der Betroffenheit ihres Fahrzeugs vom Dieselabgasskandal und damit von allen anspruchsbegründenden Umständen, ansonsten läge der Klagepartei grobe Fahrlässigkeit zur Last. Die Klagepartei bestreitet dies; sie habe erst mit Erhalt vom Rückrufschreiben von der Betroffenheit ihres Wagens Kenntnis erlangt. Vom Dieselskandal habe sie zwar schon 2015 aus den Medien erfahren; eine Betroffenheitsabfrage im Internet habe sie nicht vorgenommen.

Die Beklagte behauptet außerdem, die Klageseite habe die Anmeldung zur Musterfeststellungsklage allein vorgenommen, um eine Verjährungshemmung noch im Jahr 2018 herbeizuführen, bis seitens ihrer anwaltlichen Vertreter genügend Kapazität zur Erhebung einer Individualklage vorhanden gewesen sei. Die klägerischen Vertreter hätten auf diese Weise in großer Zahl Mandanten zur Verjährungshemmung "geparkt". Die Klageseite bestreitet dies. Die Anmeldung zur Musterfeststellungsklage habe dem Zweck des Gangs des sichersten Wegs gedient bei gleichzeitig ernsthafter Absicht der Rechtsverfolgung. Zur Abmeldung habe sich die Klageseite entschlossen, als sich mit Bekanntgabe eines Termins im Musterfeststellungsverfahrens am 15.05.2019 erst für den Herbst 2019 eine lange Verfahrensdauer abzeichnete. Außerdem seien nach der seitens des OLG Braunschweig in Individualrechtsstreitigkeiten vertretenen Rechtsauffassung die Erfolgsaussichten der Musterfeststellungsklage für die Klageseite ungünstig eingeschätzt und daher mit einem längeren Instanzenzug gerechnet worden.

2. Das Landgericht hat die Klage mit Urteil vom 14.04.2020 abgewiesen wegen Verjährung. Die Verjährung sei mit Ablauf des Jahres 2018 eingetreten. Die Klagepartei könne sich wegen der Anmeldung zur Musterfeststellungsklage nicht auf die Verjährungshemmung nach § 204 Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 2 S. 1 BGB berufen. Denn die Anmeldung mit anschließender Abmeldung sei rechtsmissbräuchlich erfolgt. Die Klagepartei habe nie ernsthaft vorgehabt, sich dem Musterfeststellungsverfahren durchgängig anzuschließen, sondern allein den Zweck der Verjährungshemmung verfolgt. Dies widerspreche dem Sinn und Zweck der Verjährungsregeln insgesamt, abschließend Rechtsfrieden herbeizuführen.

II. Der Senat erteilt hierzu folgende - vorläufige Hinweise:

1. In Anschluss an BGH, Urteil vom 25.05.2020, Az.: VI ZR 252/19, kommt in Fällen wie dem vo...

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