Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftungsrecht. unerlaubte Handlung

 

Leitsatz (amtlich)

Keine Haftung des Bürgers für falsche Rechtsauffassung Derjenige, der leicht fahrlässig einen falschen Rechtsstandpunkt einnimmt (hier: Behauptung des Miteigentums an einer an der Grundstücksgrenze errichteten Mauer), haftet nicht aus unerlaubter Handlung (§ 823 Abs. 1, § 823 Abs. 2 in Verbindung mit § 1004 BGB) für Verzögerungsschäden, die dem Betroffenen dadurch entstehen, daß er sich von dem falschen Rechtsstandpunkt zunächst beeindrucken läßt und seine Dispositionen (hier: Abriß der Mauer) bis zu einer gerichtlichen Klärung der Streitfrage zurückstellt. Welcher der Streitenden das zur Klärung der Streitfrage in Aussicht genommene gerichtliche Verfahren einleitet, ist für die Haftungsfrage ohne Bedeutung.

 

Normenkette

BGB §§ 823, 823 II, §§ 1004, 284, 677; ZPO § 717 Abs. 2, § 845

 

Tatbestand

Die Parteien sind Grundstücksnachbarn. In einem Vorprozeß stritten sie darum, ob die Klägerin eine Grenzmauer abreißen durfte und ob der Beklagte an der – dann neu errichteten – Mauer von ihm angebrachte Leitungen bzw. Befestigungen entfernen mußte. Kernpunkt des Streits war die Frage, ob die Mauer vollständig auf dem Grundstück der Klägerin stand bzw. steht. Der Senat hat mit dem Landgericht durch Urteil vom 26.05.1993 entschieden, daß der Beklagte den Abriß dulden und die Befestigungen entfernen mußte, weil die alte und neue Mauer in vollem Umfang auf dem Grundstück der Klägerin gestanden habe bzw. stehe.

Im vorliegenden Rechtsstreit verlangt die Klägerin von dem Beklagten nun Ersatz der Mehrkosten, die durch die aufgrund des vorgenannten Rechtsstreits eingetretene Verzögerung des Abbruchs der (alten) Mauer (Anfang 1991 bis Oktober 1991) entstanden sind. Es geht um den aus der Bauunternehmerrechnung vom 27.12.1991 ersichtlichen Betrag von 13.669,52 DM, von dem die Klägerin Abzüge von 342,00 DM und 1.203,06 DM gemacht hat. Die Mehrkosten sollen nach dem Vortrag der Klägerin entstanden sein, weil man an die abzureißende alte Mauer wegen der im Verlaufe des Streits der Parteien straßenseitig inzwischen vorgeommenen Bauarbeiten nicht mehr mit Fahrzeugen heranfahren konnte, so daß der Abbruch von Hand erledigt werden mußte. Der Beklagte hat das Entstehen von Mehrkosten in Abrede gestellt.

Das Landgericht hat nach der Vernehmung von Zeugen der Klage durch die angefochtene Entscheidung im wesentlichen (bis auf einen Teil der Zinsen) stattgegeben. Es hat gemeint, aufgrund des Vorprozesses stehe fest, daß die Klägerin zum Abriß der Mauer berechtigt gewesen sei. Sie habe ihre von dem Beklagten in Abrede gestellte Rechtsposition gerichtlich überprüfen lassen dürfen. Da sich herausgestellt habe, daß der Beklagte der Klägerin ihr Recht zu Unrecht streitig gemacht habe, hafte er nunmehr gemäß §§ 823 Abs. 2, 1004 BGB für den Verzögerungsschaden. Aufgrund der Beweisaufnahme stehe fest, daß die Abbrucharbeiten schließlich von Oktober bis Dezember 1991 durchgeführt worden seien, daß der Bauunternehmer die vorgelegte Rechnung gestellt habe, daß die Rechnung bezahlt worden sei und daß die Berechnung von Mehrkosten gerechtfertigt gewesen sei, weil wegen der fortgeschrittenen Bauarbeiten keine Großgeräte zum Abbruch mehr hätten eingesetzt werden können. Aus den Kostenaufstellungen der Klägerin ergebe sich die Berechtigung der errechneten Beträge. Dagegen habe der Beklagte nur pauschal und unsubstantiiert vorgetragen.

Mit der Berufung verfolgt der Beklagte seinen Klageabweisungsantrag weiter. Er macht insbesondere geltend, es fehle an einer Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch, auch sei sein Verhalten für die Entstehung dr geltend gemachten Kosten nicht ursächlich geworden.

Die Klägerin verteidigt das angefochtene Urteil und tritt den Ausführungen des Beklagten im einzelnen entgegen.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist begründet.

Die Klage ist entgegen der Auffassung des Landgerichts unbegründet.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Ersatz der geltend gemachten Kosten. Die Ausführungen des Landgerichts überzeugen nach Ansicht des Senats nicht.

1) Unklar ist bereits die anfängliche Bemerkung des Landgerichts, es stehe, nach dem rechtskräftigen Abschluß” des Vorprozesses fest, daß die Mauer voll auf dem Grundstück der Klägerin stehe. Einer Beweisaufnahme zu diesem Punkt oder einer erneuten Würdigung der im Vorprozeß erhobenen Beweise bedarf es nur dann nicht, wenn das Ergebnis des Vorprozesses für die vorliegend zu treffende Entscheidung präjudiziell ist. Präjudiziell können nur die bejahten Rechtsfolgen sein; einzelne Urteilselemente, tatsächliche Feststellungen und rechtliche Folgerungen, auf denen die Entscheidung(en) im Vorprozeß aufbauten, werden von der Rechtskraft nicht erfaßt (vgl. nur BGH NJW 1983, 2032 mit weiteren Nachweisen). Die im Vorprozeß bejahten Rechtsfolgen sind die Verpflichtung des Beklagten zur Entfernung der Befestigungen und zur Duldung des Mauerabrisses. Der in den Urteilen des Landgerichts und de...

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