Entscheidungsstichwort (Thema)

Indikationsaufklärung, horizontale Arbeitsteilung

 

Leitsatz (amtlich)

Ist ein spezialisiertes Krankenhaus (hier Brustzentrum) in die Frage der Indikation einer nur elektiven Mastektomie (wegen Krebsangst) maßgeblich eingebunden, so obliegt die Aufklärung der Patientin über die Frage der Indikation und nicht nur über die spezifischen Risiken der Operation den operierenden Ärzten des Krankenhauses.

Im Rahmen der patientenbezogenen sorgfältigen Aufklärung über die Indikation einer auf Krebsangst beruhenden Mastektomie muss der Arzt die durch den Eingriff erzielbare Verbesserung der Sicherheit mit ihr besonders besprechen. Der Komplexität und Tragweite der Entscheidung zu einer sich letztlich als unnötig darstellenden Operation muss Rechnung getragen werden. Einer möglicherweise übertriebenen Furcht vor Erkrankung muss der Arzt entgegenwirken. Sorgfältig nachzugehen hat der Arzt einem möglicherweise auf unzureichender Kenntnis beruhenden Verzicht der Patientin auf weitere diagnostische Maßnahmen. Der Operateur darf sich nicht darauf verlassen, dass eine ggü. einem niedergelassenen Gynäkologen erklärte Einwilligung auf einer sachgerechten Aufklärung beruht.

Bei einer nicht von einer wirksamen Einwilligung gedeckten beidseitigen Mastektomie ist ein Schmerzensgeld von mindestens 60.000 EUR gerechtfertigt.

 

Normenkette

BGB §§ 253, 280, 823

 

Verfahrensgang

LG Aachen (Urteil vom 18.03.2009; Aktenzeichen 11 O 596/06)

 

Tenor

Die Berufungen der Beklagten zu 1) und 2) gegen das am 18.3.2009 verkündete Urteil der 11. Zivilkammer des LG Aachen - 11 O 596/06 - werden zurückgewiesen.

Auf die Berufung der Klägerin zu 2) wird das Urteil der 11. Zivilkammer des LG Aachen - 11 O 596/06 - teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten zu 1) und 2) werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin zu 1) 60.000 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszins hieraus seit dem 27.1.2007 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin zu 1) sämtlichen zukünftigen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der in Folge der Operation vom 17.1.2003 entstehen wird, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

Die Beklagten zu 1) und 2) werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin zu 2) als Regressschaden 7.977,42 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszins hieraus seit dem 27.1.2007 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner verpflichtet sind, der Klägerin zu 2) allen über den zuerkannten Betrag hinausgehenden kongruenten Regressschaden zu ersetzen, der der Klägerin zu 2) in der Vergangenheit entstanden ist und in Zukunft noch entstehen wird.

Die Kosten des ersten Rechtszuges werden wie folgt verteilt:

  • die Gerichtskosten tragen die Klägerin zu 1) zu 40 %, die Klägerin zu 2) zu 10 % und die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner zu 50 %;
  • die außergerichtlichen Kosten der Klägerinnen zu 1) und zu 2) tragen die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner einerseits und die Klägerinnen zu 1) und 2) andererseits je zur Hälfte;
  • die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 3) und 4) tragen die Klägerin zu 1) zu 85 %, die Klägerin zu 2) zu 15 %;
  • die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1) und 2) tragen diese selbst.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Beklagten zu 1) und 2) als Gesamtschuldner.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die am 8.6.1951 geborene Klägerin zu 1) (deren gesetzlicher Krankenversicherer die Klägerin zu 2) ist) befand sich seit Mai 2000 in gynäkologischer Behandlung beim Beklagten zu 3). Bei ihr bestand eine familiäre Vorbelastung im Hinblick auf Brustkrebserkrankungen - sowohl ihre Mutter als auch zwei Schwestern waren zuvor an Brustkrebs erkrankt. Auch bei der Klägerin zu 1) war bei Mammographien Mikrokalk in beiden Brüsten festgestellt worden, so dass sie sich regelmäßigen Kontrolluntersuchungen unterzog. Anlässlich einer solchen Untersuchung im Strahleninstitut Prof. I in L., bei der zwar Anzeichen für eine Malignität nicht gefunden wurden, im Hinblick auf den festgestellten Mikrokalk eine grundsätzliche Bösartigkeit aber auch nicht sicher ausgeschlossen werden konnte, äußerte die untersuchende Radiologin ggü. der Klägerin zu 1), sie lebe mit einer "tickenden Zeitbombe". Hierdurch alarmiert kam es in der Folgezeit zu mehreren Besprechungen über die Krebsproblematik mit dem Beklagten zu 3), deren Inhalt im Einzelnen streitig ist, bei der es aber auch um die Frage einer möglichen prophylaktischen Entfernung beider Br...

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