Leitsatz (amtlich)

1. Der Behandlungsvertrag zwischen Hausarzt und Patient entwickelt keine Schutzwirkung für die Beihilfestelle als Dritte.

2. § 278 StGB, das Ausstellen unrichtiger Gesundheitszeugnisse, ist kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, da das Delikt für sich genommen nicht geeignet ist, fremde Vermögensinteressen zu schädigen.

3. Rezepte sind keine Gesundheitszeugnisse im Sinne des § 278 StGB, da sie keine Auskunft über den Gesundheitszustand eines Patienten geben und nicht dem Nachweis einer bestimmten medizinischen Diagnose dienen.

4. Ärzte haben keine Vermögensbetreuungspflicht hinsichtlich des Vermögens privater Versicherer oder der Beihilfekasse, da es an der erforderlichen engen, direkten Beziehung zwischen Arzt und Beihilfekasse oder Privatversicherer fehlt.

 

Normenkette

BGB § 823 Abs. 2; StGB §§ 263, 266, 278

 

Verfahrensgang

LG Köln (Aktenzeichen 25 O 52/19)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 29.01.2020 verkündete Urteil der 25. Zivilkammer des Landgerichts Köln - 25 O 52/19 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Das vorliegende Urteil und die angefochtene Entscheidung sind vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leisten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin - A, Beihilfekasse - zahlte an die als städtische Beamtin beihilfeberechtigte B (im Folgenden: die Patientin) zwischen Mai 2008 und November 2013 rund 2 Millionen Euro aus. Dem lag zu Grunde, dass die Patientin sich von dem Beklagten, ihrem Hausarzt, Rezepte über das Medikament Gamunex hatte ausstellen lassen. Bei dem Medikament handelt es sich um ein unverändertes menschliches Immunglobulin G (IgG), welches durch einen Arzt intravenös verabreicht werden muss. Eine Einzeldosis von 200 ml des Medikamentes hat einen Abgabepreis von ca. 26.000 EUR. Frau B hatte, nachdem sie die ersten fünf Rezepte tatsächlich eingelöst hatte, in der Folgezeit jeweils den Stempel der Apotheke gefälscht und das so präparierte Rezept bei der Klägerin zur Erstattung eingereicht. Die Klägerin zahlte die Erstattungsbeträge auf das Konto der Patientin, diese verbrauchte das Geld für sich. Dieses Vorgehen praktizierte sie über Jahre.

Der Beklagte stellte die Rezepte aus, ohne die Patientin zuvor zu untersuchen, auch verkürzte er das Verschreibungsintervall im Laufe der Zeit ohne eine vorherige Untersuchung der Patientin. Als Grundlage für die Verschreibung des Mittels "Gamunex" lag dem Beklagten ein noch an seinen Praxisvorgänger gerichteter Arztbrief des Hämatologen Dr. C vom 24.04.1990 (Sonderheft "Ablichtungen KU" zu 44 Ds 34 Js 40/16-101/18 AG Kerpen) sowie ein weiteres Schreiben auf dem Briefpapier dieses Arztes vom 07.01.2008 (Sonderheft "Ablichtungen KU" zu 44 Ds 34 Js 40/16-101/18 AG Kerpen) vor. Letzteres bezeichnete die Staatsanwaltschaft Köln im Ermittlungsverfahren 34 Js 40/16 als Fälschung. Der Beklagte verabreichte das Medikament zu keinem Zeitpunkt selbst. Er stellte keine Überweisungen an einen Facharzt aus und erhielt keine Befundberichte oder Laborergebnisse von einem Facharzt.

Die Patientin wurde nach Entdeckung der Taten im Verfahren 42 Ls 971 Js 1844/13-37/14 AG Kerpen zu zwei Jahren Freiheitsstrafe, ausgesetzt zur Bewährung, verurteilt. Ein gegen den Beklagten gerichtetes Strafverfahren 44 Ds 34 Js 40/16- 101/18 AG Kerpen wurde nach § 153 a StPO nach Erfüllung der Zahlungsauflage endgültig eingestellt.

Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Erstattung aller ihrerseits an die Patientin ausgekehrten offenstehenden Beträge in Anspruch.

Die Klägerin hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, sie habe einen Schadensersatzanspruch gegen den Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 278 StGB sowie § 263 StGB. Zudem sei sie in den Schutzbereich des Behandlungsvertrages einbezogen. Sie ist weiterhin der Ansicht, Privatrezepte seien Gesundheitszeugnisse im Sinne des § 278 StGB.

Sie hat dem Beklagten in der ersten Instanz vorgeworfen, die Verordnung des Medikaments sei nicht indiziert gewesen und hat die Ansicht vertreten, der Beklagte habe wider besseres Wissen gehandelt. Jedenfalls sei ihm Betrugsvorsatz zu unterstellen. Sie macht mit der Klage den an die Patientin gezahlten Betrag abzüglich der realisierten Erstattungen von insgesamt 2.000.544,38 EUR, Vollstreckungskosten von 35.132,19 EUR und entgangenen Zinsgewinn in Höhe von 37.938,19 EUR geltend.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

1) den Beklagten zu verurteilen, an sie Schadensersatz in Höhe von 2.035.676,57 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.10.2018 zu zahlen,

2) den Beklagten zu verurteilen, an sie weiteren Schadensersatz in Höhe von 37.938,19 EUR zu zahlen, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit (01....

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