Entscheidungsstichwort (Thema)

Ungesicherte Aufnahme einer selbständigen Erwerbstätigkeit bei bestehender gesteigerter Unterhaltsverpflichtung

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Nimmt ein abhängig Beschäftigter eine selbständige Tätigkeit auf, ohne zuvor gesichert zu haben, den geschuldeten Unterhalt für die Ehefrau und die minderjährigen Kinder auch weiterhin zahlen zu können, kann er sich nicht auf seine mangelnde Leistungsfähigkeit berufen, wenn ihm für den Schritt in die Selbständigkeit erkennbar weder öffentliche Mittel noch Kredite, noch eigene Rücklagen zur Verfügung standen, die es ihm ermöglichten, für eine gewisse Anlaufphase (bis zum Eintritt der erwarteten Gewinne) den Unterhalt weiter aufbringen zu können.

2. In diesem Fall kann die Leistungsfähigkeit des Unterhaltsverpflichteten nach seinem letzten Bruttoeinkommen beurteilt werden, auch wenn er dies während einer laufenden Probezeit verdient hat. Auf die pauschale Behauptung, es bestehe keine reale Erwerbschance in abhängiger Beschäftigung, kann sich der Unterhaltsverpflichtete nicht berufen, wenn mangels jedweder Bewerbung nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Beklagte bei gehörigen Bemühungen eine entsprechende Tätigkeit gefunden hätte.

 

Normenkette

BGB §§ 1361, 1601, 1629 Abs. 3

 

Verfahrensgang

AG Brühl (Urteil vom 08.09.2005; Aktenzeichen 35 F 209/04)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird unter Zurückweisung der weiter gehenden Berufung das am 8.9.2005 verkündete Urteil des AG Brühl - 35 F 209/04 - teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin monatlichen Trennungsunterhalt

für die Monate Mai bis Dezember 2004 i.H.v. je 264 EUR,

für die Monate Januar bis April 2005 i.H.v. je 285 EUR,

für die Monate Mai und Juni 2005 i.H.v. je 260 EUR

und von Juli 2005 bis zum 10.11.2005 i.H.v. je 252 EUR

zu zahlen.

In Abänderung der Urkunde des Jugendamtes der Stadt C vom 2.6.2004, Urkunden-Reg. Nr. 25/2004 Nix, wird der Beklagte verurteilt, an die Klägerin für seinen am 14.4.1990 geborenen Sohn E.M. ab Mai 2004 monatlichen Kindesunterhalt i.H.v. 135 % des Regelbetrages der Regelbetragsverordnung abzgl. des nach § 1612b Abs. 5 BGB abzusetzenden Kindergeldanteils zu zahlen, für die Monate Mai 2004 bis Januar 2006 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins ab dem dritten Werktag eines jeden Monats.

In Abänderung der Urkunde des Jugendamtes der Stadt C vom 2.6.2004, Urkunden-Reg. Nr. .../2004 Nix, wird der Beklagte verurteilt, an die Klägerin für seine am 21.5.1993 geborene Tochter T.M. ab Mai 2004 monatlichen Kindesunterhalt i.H.v. 135 % des Regelbetrages der Regelbetragsverordnung abzgl. des nach § 1612b Abs. 5 BGB abzusetzenden Kindergeldanteils zu zahlen, für die Monate Mai 2004 bis Januar 2006 nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszins ab dem dritten Werktag eines jeden Monats. Soweit in den Monaten November 2004 und März bis Mai 2005 Unterhaltsvorschussleistungen für die Tochter T. geleistet wurden, sind die Zahlungen an die Unterhaltsvorschusskasse zu leisten.

Die weiter gehende Klage wird abgewiesen.

Von den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen die Klägerin ein Zehntel und der Beklagte neun Zehntel; die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Beklagten auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

Die Berufung ist weitgehend begründet. Der Beklagte schuldet den ausgeurteilten Kindes- und Trennungsunterhalt, §§ 1361, 1601 ff., 1629 Abs. 3 BGB. Die Klägerin ist trotz der inzwischen eingetretenen Rechtskraft der Scheidung im laufenden Unterhaltsprozess weiterhin berechtigt, auch den Kindesunterhalt geltend zu machen (BGH v. 15.11.1989 - IVb ZR 3/89, BGHZ 109, 211 = MDR 1990, 320 = FamRZ 1990, 283).

Es ist auszugehen von einem fiktiven Einkommen des Beklagten, welches er aus einer abhängigen vollschichtigen Erwerbstätigkeit erzielen könnte. Der Beklagte kann sich nicht darauf berufen, dass er tatsächlich aus seiner selbständigen Tätigkeit nur ein geringeres Einkommen erzielt. Denn führt ein Unterhaltspflichtiger freiwillig eine voraussehbare rückläufige Entwicklung seiner Einkünfte herbei, so ist es ihm zuzumuten, seinen Plan erst dann zu verwirklichen, wenn er in geeigneter Weise, etwa durch Bildung von Rücklagen oder Aufnahme eines Kredits, sichergestellt hat, dass er seinen Unterhaltspflichten vorerst auch bei geringerem Einkommen nachkommen kann (BGH v. 4.11.1987 - IVb ZR 81/86, MDR 1988, 301 = FamRZ 1988, 145). Der Beklagte hat die selbständige Tätigkeit aufgenommen, ohne zuvor gesichert zu haben, den geschuldeten Unterhalt für die Ehefrau und die minderjährigen Kinder auch weiterhin zahlen zu können. Wie der Beklagte in der mündlichen Verhandlung eingeräumt hat, standen ihm für den Schritt in die Selbständigkeit weder öffentliche Mittel noch Kredite zur Verfügung. Es ist auch nicht ersichtlich, dass ihm Rücklagen zur Verfügung gestanden hätten, um den Unterhalt weiter aufbringen zu können.

Der Beklagte hat auch nicht ausgeräumt, dass er ein Bruttoein...

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