Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Schmähkritik bei Sachbezogenheit der Äußerung

 

Verfahrensgang

LG Köln (Urteil vom 03.09.2008; Aktenzeichen 28 O 366/08)

 

Tenor

Auf die Berufung des Verfügungsbeklagten wird das am 3.9.2008 verkündete Urteil der 28. Zivilkammer des LG Köln - 28 O 366/08 - abgeändert.

Die am 27.6.2008 erlassene einstweilige Verfügung (Beschluss) der 28. Zivilkammer des LG Köln - 28 O 366/08 - wird unter vollumfänglicher Abweisung des ihr zugrunde liegenden Antrags vom 26.6.2008 insgesamt aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen hat die Verfügungsklägerin zu tragen.

Das Urteil ist vollstreckbar.

 

Gründe

I. Von der Darstellung der tatsächlichen Entscheidungsgrundlagen i.S.v. § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO wird gem. §§ 313a Abs. 1 Satz 1, 540 Abs. 2, 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO abgesehen.

II. Die - zulässige - Berufung hat in der Sache Erfolg.

Das in dem angefochtenen Urteil aufrechterhaltene Verbot der in der verfahrensgegenständlichen Internetveröffentlichung gemäß Anlage ASt 2 enthaltenen Äußerung des Verfügungsbeklagten, die Verfügungsklägerin gebe antisemitische Statements ab, hält einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.

1. Die in dem offenen Brief des Verfügungsbeklagten enthaltene, auf die Verfügungsklägerin bezogene Äußerung ""... ihre spezialität sind antisemitisch-antizionistische statements ..." ist allerdings sowohl in ihrer Einordnung als Meinungskundgabe als auch ihrem Aussagegehalt nach zutreffend durch das LG gewürdigt.

Dass es sich bei der streitbefangenen Äußerung um eine Meinung - konkret die wertende Kritik von in der Vergangenheit abgegebenen öffentlichen "statements" der Verfügungsklägerin - handelt, hat das LG überzeugend dargestellt und zieht der Verfügungsbeklagte mit seiner Berufung auch nicht in Zweifel. Auch der im Wege der Auslegung ermittelte inhaltliche Aussagegehalt dieser Äußerung überzeugt und hält den hiergegen mit der Berufung vorgebrachten Beanstandungen des Verfügungsbeklagten stand. Es ist zwar richtig, dass die Äußerung ihrem tatsächlichen Wortlaut nach die Begriffe "antisemitisch" und "antizionistisch" verknüpft, was ihr eine die Kritik der Politik des Staates J. kommentierende Bedeutungsvariante verschafft, welche sie von dem Vorwurf eines von konkretem politischem Geschehen losgelösten - in diesem Sinne "reinen" - Antisemitismus entfernt. Der Aussagegehalt der streitbefangenen Äußerung ist damit aber nicht erschöpft. Nach dem Verständnis jedenfalls eines nicht unerheblichen Teils des angesprochenen Adressatenkreises verbleibt vielmehr die nicht fern liegende Deutungsmöglichkeit, dass die Klägerin "antisemitische statements" bzw. solche abgegeben hat, die - zumindest auch - eine antisemitische Einstellung/Geisteshaltung offenbart und zum Ausdruck gebracht haben. Soweit der Beklagte hier auf ein überdurchschnittlich "vorinformiertes" Publikum abstellen will, dem sich der Sinn der Äußerung nur in der erstgenannten Bedeutungsvariante erschließe, überzeugt das nicht. Unabhängig davon, ob die Kombination von "antisemitisch" mit "antizionistisch" vom Standpunkt der erwähnten überdurchschnittlich informierten Adressaten tatsächlich geeignet ist, den Sinn der Äußerung darauf zu reduzieren, dass sie eine bloße Aussage über die Haltung zur Politik des Staates J. beschreibt, wendet sich die streitbefangene Internetpublikation jedenfalls nicht ausschließlich an einen die Aussage angeblich nur in diesem Sinne verstehenden "vorinformierten" Verkehrskreis. Die über www.achgut.com erreichbare Internetseite, in welche die streitbefangene Publikation des Verfügungsbeklagten eingestellt und auf der sie abrufbar ist, spricht vielmehr vielfältige Themen an und wendet sich an einen denkbar weiten, sich der Informationsmöglichkeiten des Internets bedienenden Adressatenkreis, zu dem die Mitglieder des erkennenden Senat ebenso wie die der erstinstanzlich entscheidenden Kammer zählen. Selbst wenn dieser Adressatenkreis von Hause aus Interesse u.a. an der Politik ausländischer Staaten, darunter namentlich der des Staates J. zeigt und die Begriffe antisemitisch sowie antizionistisch ihrem Aussagegehalt nach differenziert, ist aber gerade die Kombination der beiden Begriffe geeignet, der Aussage einen Bedeutungsgehalt zu verschaffen, der über die Kommentierung einer der Politik des Staates J. gegenüber kritisch eingestellten bzw. in diesem Sinne "antizionistischen" Haltung hinausgeht und dem so Beurteilten eine weitergehende, nämlich antisemitische Einstellung zuweist. Diese, dem Verfügungsbeklagten "ungünstigste", nicht fern liegende Deutungsvariante ist der Beurteilung des in die Zukunft gerichteten Unterlassungsbegehrens zugrunde zu legen (vgl. BVerfG NJW 2006, 207 - "IM-Sekretär/Manfred Stolpe"; BVerfG NJW 2006, 3769 -"Babycaust"-). Auch bei der Ermittlung der inhaltlichen Aussagekraft des Begriffs Antisemitismus ist das LG keiner Fehlbeurteilung erlegen. Soweit der Verfügungsbeklagte die inhaltliche Bedeutung des Begriffs "Antisemitismus" anhand des Definitionskatalogs der FRA ("Fu...

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