Leitsatz (amtlich)

Eine Überprüfung der Auskünfte des Versicherungsnehmers mit verdeckten Ermitt-lungsmethoden wie der Observierung ist mit dem im Versicherungsverhältnis geltenden Gebot der wechselseitigen Rücksichtnahme grundsätzlich nicht vereinbar. Eine Ausnahme gilt aber dann, wenn ein über bloße Zweifel an der Richtigkeit der Angaben hinausgehender begründeter Verdacht auf ein vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Versicherungsnehmers besteht.

 

Verfahrensgang

LG Bonn (Urteil vom 04.05.2012; Aktenzeichen 9 O 60/12)

 

Tenor

Die Berufung des Verfügungsklägers gegen das am 4.5.2012 verkündete Urteil der 9. Zivilkammer des LG Bonn - 9 O 60/12 - wird zurückgewiesen.

Der Verfügungskläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

 

Gründe

I. Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gem. § 540 Abs. 2 ZPO i.V.m. § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO abgesehen.

II. Die zulässige Berufung des Verfügungsklägers hat in der Sache keinen Erfolg.

Das LG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung (§§ 935, 940 ZPO) sowohl hinsichtlich des geltend gemachten Anspruchs auf Unterlassung von Observierungsmaßnahmen als auch hinsichtlich des Anspruchs auf Herausgabe und Löschung der gewonnenen Ermittlungsergebnisse zu Recht zurückgewiesen.

1. Dem Verfügungskläger steht gegen die Verfügungsbeklagte kein Anspruch auf Unterlassung von Observierungsmaßnahmen, auf Unterlassung der Anfertigung von Foto- und Filmaufnahmen und auf Unterlassung der Sammlung personenbezogener Daten zu. Ein solcher Anspruch folgt weder aus dem zwischen den Parteien bestehenden Versicherungsvertrag noch aus einer entsprechenden Anwendung von § 1004 BGB i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB. Der Verfügungskläger hat nicht glaubhaft gemacht, dass die Verfügungsbeklagte durch die Observierung seine Rechte verletzt hat und die Gefahr weiterer Rechtsverletzungen besteht.

a. Neben dem Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes als absolutes Recht i.S.d. § 823 Abs. 1 BGB sind die Vertragsparteien eines Versicherungsvertrages gem. § 241 Abs. 2 BGB zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichtet; der Versicherungsnehmer hat deshalb auch einen vertraglichen Anspruch auf Beachtung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Die im Versicherungsverhältnis geltenden besonderen gegenseitigen Treuepflichten (vgl. Prölss in: Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., Vorbem. II Rz. 8 ff.) verpflichten den Versicherungsnehmer, den Versicherer umfassend und wahrheitsgemäß über die vertragserheblichen Umstände zu informieren. Im Gegenzug ist der Versicherer verpflichtet, bei der Nachprüfung der Angaben des Versicherungsnehmers die berechtigten Interessen und Rechtsgüter des Versicherungsnehmers zu wahren. Eine Überprüfung der Auskünfte des Versicherungsnehmers mit verdeckten Ermittlungsmethoden wie der Observierung ist mit dem im Versicherungsverhältnis geltenden Gebot der wechselseitigen Rücksichtnahme grundsätzlich nicht vereinbar. Kein Vertragspartner muss hinnehmen, dass der andere ihn grundlos bespitzelt (Fricke, VersR 2010, 308, 313). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt aber dann, wenn der über bloße Zweifel an der Richtigkeit der Angaben hinausgehende begründete Verdacht für ein vorsätzlich vertragswidriges Verhalten des Versicherungsnehmers besteht (vgl. zur erforderlichen Verdachtslage: BGH, VersR 2007, 285 und VersR 2009, 1063 für den Bereich der Krankentagegeldversicherung). Insbesondere bei Verdacht auf ein arglistiges Vorgehen muss es dem Versicherer möglich sein, durch verdeckte Ermittlungen Erkenntnisse zu gewinnen. Denn bei Arglist besteht für den Fall der offenen Nachfrage beim Versicherungsnehmer die Gefahr, dass dieser Beweismittel unterdrückt oder auf andere Weise sein vertragswidriges Verhalten verschleiert.

Will der Versicherer verdeckte Ermittlungsmethoden wie eine Observation anwenden, müssen konkrete tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass der Versicherungsnehmer vorsätzlich seine Pflichten aus dem Versicherungsvertrag verletzt (vgl. BGH, a.a.O.), wobei Art und Umfang der verdeckten Ermittlungen im Hinblick auf das zu beachtende allgemeine Persönlichkeitsrecht des Versicherungsnehmers am Maßstab der Verhältnismäßigkeit zu messen sind, also geeignet, erforderlich und unter Berücksichtigung der widerstreitenden Interessen angemessen sein müssen. Die gegenläufigen Belange sind im Rahmen einer umfassenden Abwägung einander gegenüberzustellen (vgl. BVerfG, VersR 2006, 1669).

b. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Verfügungsbeklagte durch die Einleitung und Durchführung von verdeckten Observierungsmaßnahmen vorliegend nicht ihre vertragliche und gesetzliche Pflicht zur Beachtung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Verfügungsklägers verletzt.

aa. Nach den von der Verfügungsbeklagten durch eine Recherche im Internet gewonnenen Erkenntnissen bestand der konkrete Verdacht, dass der Verfügungskläger gegenüber der Verfügungsbeklagten bewusst falsche Angaben über seine körperliche und geistige Leistu...

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