Entscheidungsstichwort (Thema)

Internationale Rechtshilfe: Auslieferung an die U.S.A. wegen einer Drogenstraftat

 

Leitsatz (redaktionell)

1. Muss der Verfolgte in den U.S.A. mit einer Freiheitsentziehung von 30 Jahren abzüglich 15 % "credit" = 25 1/2 Jahren rechnen, bestehen gegen die Auslieferung bei einem solchen Strafmaß noch nicht. Die zu erwartende Strafe ist im Vergleich zu der nach deutschem Betäubungsmittelstrafrecht möglichen Höchststrafe (von 15 Jahren, vgl. § 38 Abs. 2 StGB) zwar - und auch in hohem Maße - hart. Als unerträglich hart oder unmenschlich kann sie angesichts des Gewichts der Vorwürfe jedoch nicht angesehen werden.

2. a) Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist der Anspruch des Verfolgten aus Art. 6 GG auf Ehe- und Familienleben gegen das staatliche Strafverfolgungsinteresse bei schweren Straftaten, die allein Gegenstand eines Auslieferungsverfahrens sind, zu denen die dem Verfolgten angelasteten Betäubungsmitteldelikte zweifelsfrei gehören, und für deren Durchsetzung die Bundesrepublik Deutschland auf die Zusammenarbeit mit anderen Staaten angewiesen ist, abzuwägen.

b) Familiäre Belange können hiernach nur in ganz besonderen Härtefällen einer Auslieferung entgegenstehen. Ein solcher Sachverhalt liegt hier nicht vor. Das Schicksal des - jetzt knapp 2-jährigen - Kindes des Verfolgten unterscheidet sich nicht grundlegend von dem eines Kindes, dessen Vater sich in Deutschland in langjähriger Haft befindet mit den sich daraus ergebenden, im Interesse der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs hinzunehmenden nachteiligen Folgen für das Kindeswohl.

 

Gründe

I.

Der am 22.04.2006 in Köln festgenommene Verfolgte befindet sich aufgrund eines Auslieferungsersuchens des Justizministeriums der Vereinigten Staaten von Amerika in Auslieferungshaft. Der Senat hat am 20.06.2006 zuletzt die Fortdauer der Auslieferungshaft angeordnet und am 07.07.2006 die Auslieferung für zulässig erklärt. Mit Schriftsatz seines Beistands vom 11.07.2006 beantragt der Verfolgte, gem. § 33 IRG erneut über die Zulässigkeit der Auslieferung zu entscheiden und diese für unzulässig zu erklären. Das Vorbringen des Verfolgten hat den Senat veranlasst, bei der US-Botschaft in Berlin eine ergänzende Auskunft zu der dem Verfolgten im Falle einer Verurteilung drohenden Strafe sowie zu den Möglichkeiten einer vorzeitigen Entlassung auf Bewährung bzw. einer Begnadigung einzuholen. Der Verfolgte hat zu den ihm übermittelten Auskünften der US-Botschaft vom 21.07. und 07.08.2006 Stellung genommen. Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Zurückweisung der Anträge des Verfolgten sowie die Anordnung der Fortdauer der Auslieferungshaft beantragt.

II.

1. Die aufgrund der ergänzenden Auskünfte gem. § 33 Abs. 1 IRG vorgenommene erneute Prüfung der Zulässigkeit der Auslieferung führt zu keinem abweichenden Ergebnis. Eine andere Entscheidung ist nicht gerechtfertigt.

a) Das Vorbringen des Verfolgten, ihm drohe im Falle einer Verurteilung eine "konkrete Gesamtfreiheitsstrafe von mehr als 60 Jahren ohne Möglichkeit der vorzeitigen Haftverschonung" - was auf eine faktisch lebenslange Freiheitsstrafe hinauslaufe -, trifft nach den amerikanischen Strafgesetzen und den vom Senat dazu eingeholten Erläuterungen nicht zu. Wie der Senat in der Zulässigkeitsentscheidung unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BVerfG (zusammenfassend BVerfG in JZ 2004, 141 f) bereits ausgeführt hat, gebietet das Grundgesetz ausgehend von der Eingliederung der Bundesrepublik Deutschland in die Völkerrechtsordnung und von der Verpflichtung zur Einhaltung völkerrechtlicher Verträge im zwischenstaatlichen Auslieferungsverkehr Strukturen und Inhalte fremder Rechtsordnungen und Rechtsanschauungen grundsätzlich zu achten. Dazu gehören auch - unter Umständen auch ganz erheblich - abweichende Vorstellungen zum Strafmaß bei Betäubungsmitteldelikten. Ein innerstaatliches Auslieferungsverbot nach Art. 1 Abs. 1 und Abs. 2 Abs. 1 GG kommt insoweit nur bei einer "unerträglich schweren Strafe" in Betracht, nicht jedoch, wenn die Strafe lediglich "als in hohem Maße hart" anzusehen ist. Die unabdingbaren Grundsätze der deutschen verfassungsrechtlichen Ordnung werden durch die Auslieferung wegen der dem Verfolgten drohenden Bestrafung noch nicht verletzt.

b) Ausgangspunkt der nach den angeführten Maßstäben vorzunehmenden Prüfung ist, dass der Verfolgte von vorneherein nur mit einer zeitigen Freiheitsstrafe rechnen muss, die auch nicht faktisch einer lebenslangen Freiheitsstrafe gleichkommt. Die Höchststrafe für die dem Verfolgten vorgeworfenen Taten beträgt - für jeden Fall - 20 Jahre, wie der Senat in der Zulässigkeitsentscheidung näher ausgeführt hat. Kommt es in mehreren oder allen Anklagepunkten zur Verurteilung des Verfolgten, sieht US-Code § 3584 (a) Satz 2 für diesen Fall ("Multiple sentences of imprisonment") vor, dass die Strafen gleichzeitig ("concurrently") vollstreckt werden. Aus den Strafen wird nach Maßgabe der "US Sentencing Guidelines" ein "total punishment (combined length of of the...

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