Verfahrensgang

StA Mönchengladbach (Urteil vom 12.08.1998; Aktenzeichen 35 VRs 428/98)

StA Mönchengladbach (Aktenzeichen 34 VRs 7586/91)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bonn zurückverwiesen, die auch über die Kosten dieses Beschwerdeverfahrens zu befinden haben wird.

 

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer wurde am 28. August 1991 durch das Landgericht Mönchengladbach wegen sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr (deren Vollstreckung zunächst zur Bewährung ausgesetzt worden war; insoweit ist am 21. September 1998 Widerruf ausgesprochen worden) verurteilt. Am 8. Januar 1998 wurde er durch das Amtsgericht Mönchengladbach wegen unerlaubter Einfuhr von in Tateinheit mit unerlaubtem Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt.

Er befindet sich derzeit in Strafhaft im offenen Vollzug in der JVA E.; die Freiheitsentziehung dauert einschließlich anzurechnender Untersuchungshaft ununterbrochen seit dem 19. Oktober 1997 an. Gemeinsamer Zwei-Drittel-Zeitpunkt war der 5. Mai 2000. Das Ende der Strafzeit ist für die erstgenannte Sache auf den 5. September 2000, das Gesamtstrafende ist auf den 16. August 2000 vorgemerkt.

In dem Verfahren über eine Reststrafaussetzung nach Verbüßung von zwei Dritteln der Strafe zur Bewährung hat sich der Leiter der JVA E. auch unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit für eine bedingte Entlassung des Verurteilten ausgesprochen. Auch die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach hat eine Entscheidung nach § 57 Abs. 1 StGB befürwortet.

Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bonn hat mit der Ladung zur mündlichen Anhörung des Verurteilten zwar vermerkt, dass im Hinblick auf die Einsatzstrafe von zwei Jahren und vier Monaten aus dem Urteil vom 8. Januar 1998 wegen eines Verbrechens nach §§ 29 a, 30 BtMG ein „Gutachtenfall” – gemeint: nach § 454 Abs. 2 StPO – vorliege. Sie hat es aber gleichwohl, ohne ein Sachverständigengutachten in Auftrag zu geben, mit Beschluss vom 28. März 2000 abgelehnt, die Vollstreckung des Restes der (Gesamt-) Freiheitsstrafen zur Bewährung auszusetzen.

Gegen diese am 10. April 2000 zugestellte Entscheidung richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom selben Tage, eingegangen am 14. April 2000. Da durch die Staatsanwaltschaft Mönchengladbach ursprünglich nur eines der beiden Vollstreckungshefte der Generalstaatsanwaltschaft zugeleitet worden war, ist die Sache mit den vollständigen Akten dem Senat erst am 31. Mai 2000 vorgelegt worden.

II.

Die gemäß § 454 Abs. 3 Satz 1 StPO statthafte und auch sonst zulässige sofortige Beschwerde hat vorläufigen Erfolg. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben, weil nach Aktenlage eine Reststrafenaussetzung zur Bewährung nach § 57 Abs. 1 StGB sehr wohl ernstlich in Betracht kommt, es hierfür aber noch der Einholung eines Gutachtens nach § 454 Abs. 2 StPO – das durch die Strafvollstreckungskammer in Auftrag zu geben sein wird – bedarf.

1.

Vorbehaltlich des noch zu erstattenden Gutachtens ist die dem Verurteilten zu stellende Legalprognose hinreichend günstig im Sinne des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB.

Die Kriterien, die nach dieser Vorschrift vorliegen müssen, sind in dem angefochtenen Beschluss zutreffend aufgeführt und entsprechen der ständigen Rechtsprechung des Senats. Es muss eine begründete Aussicht auf eine Resozialisierung des Verurteilten bestehen und zumindest eine gewisse Wahrscheinlichkeit oder „reelle Chance” dafür gegeben sein, dass dieser künftig keine Straftaten mehr begehen wird. An diesen materiell-rechtlichen Voraussetzungen, für die auch schon nach bisheriger Rechtsprechung das Sicherheitsinteresse der Allgemeinheit mit zu berücksichtigen war (vgl. BT-Drucksache 13/9062 S. 9 m.w.N.), hat sich auch durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderer gefährlicher Straftaten vom 26.01.1998 trotz einer gewissen Verschärfung der Anforderungen nichts grundlegend geändert. Insbesondere ist die Formulierung der Verfahrensvorschrift des § 454 Abs. 2 Satz 2 StPO nicht geeignet, ihrerseits zu einer noch einengenderen Auslegung des Wortlauts des § 57 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 StGB zu führen, denn die materiell-rechtlichen Aussetzungskriterien sind abschließend im materiellen Recht des § 57 Abs. 1 StGB geregelt (vgl. Schöch NStZ 98, 1258, 1259; Schüler-Springorum StV 98, 669; Rosenau StV 99, 396). Ansätze für eine noch engere Sicht in Teilen der Rechtsprechung (vgl. etwa OLG Koblenz StV 98, 667) entsprechen nicht der Rechtsprechung des Senats. Die Klausel von der Verantwortbarkeit der Vollstreckungsaussetzung „unter Berücksichtigung des Sicherheitsinteresses der Allgemeinheit” schließt ebenso wie schon vorher die Klausel von der Verantwortlichkeit der Erprobung mit ein, daß es vertretbares Restrisiko eingegangen wird (BVerfG NJW 98, 2202).

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