Tenor

Der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft auf Erlaß eines vorläufigen Auslieferungshaftbefehls wird abgelehnt.

 

Gründe

I.

Die türkischen Justizbehörden ersuchen mit einer internationalen Ausschreibung über Interpol um die Festnahme des Verfolgten J C zum Zwecke der Auslieferung in die Türkei zur Strafverfolgung wegen des Vorwurfs der Beihilfe zum Mord in zwei Fällen, wegen gemeinschaftlichen Mordes sowie wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation. Gegen den Verfolgten sollen durch die Justizbehörden in Ankara drei Haftbefehle Nr. 1991/324 vom 06.11.1991, Nr. 1991/80 D.IS vom 11.03.1991 und Nr. 1991/81 D.IS vom 11.03.1991 ausgestellt worden sein. Die Haftbefehle Nr. 1991/324 und Nr. 1991/80 D.IS sollen durch die Justizbehörden in Ankara aufgehoben und durch Haftbefehl Nr. 2004/02 vom 28.09.2006 ersetzt worden sein.

Dem Verfolgten wird zur Last gelegt, in L/Ankara am 25.10.1990 sowie am 17.12.1990 im ersten Fall zwei Personen und im zweiten Fall fünf Personen mit Schußwaffen beliefert und die Personen beauftragt zu haben, eine andere Person zu töten. Des weiteren wird er beschuldigt, am 30.01.1991 in D /Ankara gemeinsam mit einem Mittäter einen Mann, der vor seinem Haus aus seinem Auto stieg, erschossen zu haben.

Der Verfolgte wurde am 28.11.2009 in Aachen vorläufig festgenommen. Bei seiner richterlichen Anhörung vor dem Amtsgericht Aachen am 29.11.2009 hat er erklärt, in Belgien im Jahre 1999 zunächst Asyl und im Jahre 2008 die belgische Staatsangehörigkeit erhalten zu haben. Er sei schwer erkrankt, könne in der Türkei nicht mit einem rechtsstaatlichen Verfahren rechnen und fürchte um sein Leben. Der Verfolgte hat sich mit der vereinfachten Auslieferung nicht einverstanden erklärt und auf die Einhaltung des Grundsatzes der Spezialität nicht verzichtet.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, gegen den Verfolgten die vorläufige Auslieferungshaft anzuordnen.

II.

Dem Antrag auf Erlaß eines Auslieferungshaftbefehls nach § 16 IRG kann nicht entsprochen werden.

Nach §§ 16 Abs. 1, 15 Abs. 2 IRG kann vorläufige Auslieferungshaft nicht angeordnet werden, wenn die Auslieferung von vorneherein unzulässig erscheint. Bei verfassungskonformer Auslegung von § 15 Abs. 2 IRG kommt eine Auslieferungshaft nur in Betracht, wenn aufgrund einer Schlüssigkeitsprüfung ohne weiteres festgestellt werden kann, dass die Voraussetzungen für eine Auslieferung gegeben sein können Schomburg/Lagodny/Gleß/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 4. Aufl., § 15 Randnr.31).

Nach den dem Senat vorliegenden Erkenntnissen ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Auslieferung des Verfolgten wegen Bestehens von Verfolgungshindernissen nicht zulässig sein wird.

1.

Der Auslieferungsverkehr zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Türkei richtet sich nach dem Europäischen Auslieferungsübereinkommen - EuAlÜbK - vom 13.12.1957.

Nach Art. 10 EuAlÜbK wird die Auslieferung nicht bewilligt, wenn nach den Rechtsvorschriften des ersuchenden oder des ersuchten Staates die Strafverfolgung verjährt ist.

Hinsichtlich des von den türkischen erhobenen Vorwurfs der Bildung bzw. Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung ist nach deutschem Recht Verfolgungsverjährung eingetreten. Für Straftaten nach § 129 b Abs. 1 in Verb. mit § 129 a Abs. 1 StGB, die mit Freiheitsstrafe im Höchstmaß von 10 Jahren bedroht sind, beträgt die Verjährungsfrist nach § 78 Abs. 3 Nr. 3 StGB 10 Jahre. Nach § 78a S.1 StGB beginnt die Verjährung ab Beendigung der Tat. Als maßgeblicher Zeitpunkt ist insoweit der 30.01.1991 (= Datum des dem Verfolgten zur Last gelegten Tötungsdelikts) anzusehen. Für strafrechtlich relevantes Handeln des am 17.03.1991 festgenommenen Verfolgten nach diesem Zeitpunkt ist der Ausschreibung der türkischen Behörden nichts zu entnehmen. Ausgehend davon, dass durch den Haftbefehl vom 06.11.1991 die Verjährung gem. § 78 c Abs. 1 Ziff. 5 StGB die Verjährung unterbrochen worden sein kann und gem. Abs. 4 S.1 danach von Neuem begonnen hat, ist hinsichtlich des Vorwurfs der Bildung bzw. Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung spätestens zum 06.11.2001 Verjährung eingetreten. Durch den Erlaß des neuen Haftbefehls im Jahre 2006 konnte die bereits eingetretene Verjährung nicht mehr unterbrochen werden. Für andere verjährungsunterbrechende Maßnahmen gem. § 78 c StGB ist nichts ersichtlich.

2.

a) Im übrigen ist für die nach § 15 Abs. 2 IRG zu treffende "Unzulässigkeitsprognose" maßgeblich, dass der Verfolgte - dessen Auslieferung bereits im Jahre 1999 abgelehnt worden war - in Belgien durch Beschluss des Conseil d’ Etat in Brüssel vom 20.06.2005 - Aktenzeichen A.118.469/4872 - in letzter Instanz als Flüchtling anerkannt und dem Schutz der Genfer Konvention unterstellt worden ist. Dem lag nach der dem Senat vorliegenden Entscheidung die Feststellung zugrunde, dass dem Verfolgten im Herkunftsstaat politische Verfolgung i.S. des Art. I Sec. A Ziff. 2 der Genfer Konvention drohe und kein Ausschlussgrund für die Asylgewähr...

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