Entscheidungsstichwort (Thema)

Gerichtliche Hinweis- und Prozessleitungspflicht im Bauprozess bei vom schriftlichen Vertrag abweichender Stundenlohnvereinbarung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Hält das Gericht im Bauprozess eine mündliche Stundenlohnvereinbarung, durch die eine im schriftlichen Vertrag festgelegte Art der Vergütung abbedungen worden sein soll, für nicht hinreichend substantiiert, muss es den Anspruchsteller darauf unmissverständlich hinweisen. Das ist nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Auftraggeber unzureichende Substantiierung gerügt hat, wenn der Auftragnehmer ersichtlich davon ausgeht, diese Beanstandung durch entsprechenden Prozessvortrag entkräftet zu haben.

2. Ob ein Verfahrensfehler vorliegt, richtet sich auch im Bauprozess nach dem materiellrechtlichen Standpunkt des Erstrichters, selbst wenn dessen Rechtsansicht verfehlt ist. Erst wenn aufgrund dieser materiellrechtlichen Beurteilung gleichwohl ein gerichtlicher Hinweis geboten war, aber versäumt wurde, liegt ein Verfahrensfehler vor, der zur Aufhebung und Zurückverweisung führen kann (hier bejaht).

3. Die Beweiserhebung zu einer behaupteten mündlichen Stundenlohnvereinbarung darf auch dann nicht davon abhängig gemacht werden, zu Ort, Zeit und Umständen der behaupteten Abrede vorzutragen, wenn der schriftliche Bauvertrag hinsichtlich der abweichenden Vergütungsregelung (hier: Einheitspreis) scheinbar eindeutig ist.

 

Normenkette

ZPO §§ 139, 253, 286, 538; BGB §§ 133, 157, 631-632

 

Verfahrensgang

LG Trier (Urteil vom 29.01.2015; Aktenzeichen 7 HK O 1/14)

 

Tenor

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 7. Zivilkammer (Kammer für Handelssachen) des LG Trier vom 29.1.2015 aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LG zurückverwiesen.

Gerichtskosten für das Berufungsverfahren werden nicht erhoben. Die Entscheidung über die weiteren Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem LG vorbehalten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Gründe

I. Die Klägerin verlangt Vergütung für die Erbringung von Bauleistungen.

Zwischen den Parteien wurde am 15./18.11.2011 ein Werkvertrag geschlossen. In diesem wurde u.a. die Anwendung deutschen Rechts sowie die örtliche und internationale Zuständigkeit der Gerichte in Trier vereinbart. In § 7 wurde die Abrechnung nach Aufmaß und Einheitspreisen gemäß einem dem Vertrag beigefügten Leistungsverzeichnis geregelt. Hinsichtlich des weiteren Inhaltes des Vertrages wird auf die Anlage K16 Bezug genommen. Am 30.11.2012 schlossen die Parteien einen weiteren Werkvertrag zur Ausführung von Montagearbeiten bezüglich des Gewerks Elektro.

Während der Leistungsausführung kam es zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den Parteien, die zur Kündigung des Vertrages durch die Klägerin mit Schreiben vom 20.12.2012 wegen eines aus ihrer Sicht bestehenden Zahlungsverzuges der Beklagten führte.

Mit Schreiben vom 16.1.2013 forderte die als Subunternehmerin beauftragte Klägerin die Beklagte zur Abnahme der erbrachten Leistungen auf. Die Beklagte verweigerte mit Schreiben vom 22.1.2013 die Abnahme, da vertraglich die Abhängigkeit von der Abnahme durch den Bauherren - also ihren Auftraggeber - vorgesehen sei.

Unter dem 15.1.2013 stellte die Klägerin ihre Schlussrechnung, in deren Anlage sie die Abrechnung nach Aufmaß errechnet.

Mit der Klage begehrt die Klägerin ausgehend von einer Rechnungssumme von 1.238.476,86 EUR netto abzüglich eines Sicherheitseinbehalts von 5 % und der aus Sicht der Klägerin erbrachten Abschlagsleistungen von 651.603,61 EUR zuzüglich der 15 %-igen Mehrwertsteuer nach luxemburgischem Recht die Zahlung eines Betrages von 603.691,69 EUR.

Die Klägerin behauptet, die Parteien seien sich am 15.11.2011 bei der Unterzeichnung des Werkvertrages darüber einig gewesen, dass der schriftliche Vertrag hinsichtlich einer Abrechnung der Leistungen nach Aufmaß nur zum Schein getroffen werde. Tatsächlich sei vereinbart worden, sämtliche Leistungen nach Stunden abzurechnen und anschließend eine Rechnung unter Anpassung des Aufmaßes an die geleisteten Stunden zu stellen.

Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes sowie der erstinstanzlichen Anträge wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Das LG hat die Klage abgewiesen und zur Begründung darauf verwiesen, die Klägerin habe die mündliche Stundenlohnvereinbarung konkret darlegen müssen. Es habe eines Vortrages dazu bedurft, wann, wo und wie die fragliche Vergütungsvereinbarung auf Stundenlohnbasis getroffen worden sei. Zudem sei der Vortrag der Klägerin zum Abschluss einer Stundenlohnvereinbarung nicht plausibel.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung und führt zur Begründung aus, das LG habe nicht auf die aus seiner Sicht bestehende Unschlüssigkeit des Klagevortrages hinsichtlich einer Vergütungsvereinbarung auf Stundenlohnbasis hingewiesen. Ein entsprechender Hinweis sei jedoch geboten gewesen. Die Stundenlohnvereinbarung sei am 15.11.2011 bei der Unterzeichnung des Werkvertrages geschlossen worden. Zudem sei am ...

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