Entscheidungsstichwort (Thema)

Keine Haftung des Krankenhausarztes in der Notfallambulanz für Fehldeutung einer Carbamazepin - Unverträglichkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Ein Diagnoseirrtum, der objektiv auf eine Fehlinterpretation der Befunde zurückzuführen sein kann, darf nur mit Zurückhaltung als Behandlungsfehler gewertet werden. Daher haftet die in der Notfallambulanz eines Krankenhauses tätige Fachärztin für Allgemeinmedizin nicht, wenn sie eine nach den Gesamtumständen fernliegende Carbamazepin - Unverträglichkeit naheliegend als Amoxicillin - Unverträglichkeit fehlinterpretiert, weil die Patientin dieses Medikament erst jüngst zusätzlich eingenommen hat.

2. Beim einfachen Diagnoseirrtum trifft den Patient die Beweislast, dass der Kausalverlauf nach sofortiger richtiger Diagnose günstiger gewesen wäre.

 

Normenkette

BGB §§ 249, 253, 276, 278, 280, 611, 823; ZPO § 286

 

Verfahrensgang

LG Trier (Urteil vom 15.01.2014; Aktenzeichen 4 O 373/11)

 

Tenor

1. Die Berufung gegen das Urteil der 4. Zivilkammer des LG Trier vom 15.1.2014 wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.

2. Das angefochtene Urteil und der Senatsbeschluss sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung des Beklagten durch Leistung einer Sicherheit von 110 % des beizutreibenden Betrages abwenden, es sei denn, der Beklagte leistet entsprechende Sicherheit.

3. Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 30.451,15 EUR.

 

Gründe

I. Die Berufung ist aus den Erwägungen des Senatsbeschlusses vom 14.7.2014 unbegründet. Dort hat der Senat mitgeteilt:

"1. Die 1979 geborene Klägerin nimmt das beklagte Krankenhaus auf materiellen und immateriellen Schadensersatz sowie Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten in Anspruch. Daneben möchte sie die Ersatzpflicht für entsprechende Zukunftsschäden festgestellt haben.

Wegen einer Occipitalis - Neuralgie hatte die Klägerin seit dem 27.9.2010 das Medikament Carbamazepin eingenommen. Erstmals in den Morgenstunden des 19.10.2010 nahm sie außerdem das Antibiotikum Amoxicillin.

Wegen einer heftigen Hautreaktion am gesamten Körper stellte die Klägerin sich am darauffolgenden Tag in der Notfallambulanz des beklagten Krankenhauses vor. Unter der Annahme einer allergischen Reaktion auf das Antibiotikum Amoxicillin und der Verdachtdiagnose "Epstein - Barr - Virusinfektion" schickte man die Klägerin mit der Empfehlung nach Hause, ein Antihistaminikum (Fenistil®) zu nehmen unter Erhöhung der Cortisondosis.

Der weitere Verlauf war derart dramatisch, dass die Klägerin gezwungen war, sich ab dem 29.10.2010 andernorts stationär behandeln zu lassen. Dort zeigte sich nach Absetzen des Medikaments Carbamazepin eine deutliche Besserung des dermatologischen Beschwerdebildes.

Die Klägerin lastet dem Beklagten an, die bereits am 20.10.2010 vorhandenen signifikanten Leitsymptome für eine Unverträglichkeitsreaktion auf das Medikament Carbamazepin nicht erkannt und stattdessen irrig von einer Epstein - Barr - Virusinfektion ausgegangen zu sein, was angesichts des Lebensalters der Klägerin fernliegend gewesen sei.

Eine ergänzende Befunderhebung mit daran anknüpfender unverzüglicher Krisenintervention hätte den weiteren Verlauf frühzeitiger in die richtige Bahn gelenkt und zu einem besseren Ergebnis geführt.

Dem ist der Beklagte entgegengetreten.

2. Das LG hat einen Dermatologen als Sachverständigen befragt. Er hat sein schriftliches Gutachten (Bl. 79 - 91 GA) mündlich erläutert (Bl. 115/116 GA).

Hiernach hat das LG, auf dessen Entscheidung zur weiteren Darstellung des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes Bezug genommen wird, die Klage abgewiesen. Ein vorwerfbarer Diagnosefehler liege nicht vor. Die angenommene allergische Reaktion auf das tags zuvor erstmals eingenommene Antibiotikum Amoxicillin habe viel näher gelegen als eine Unverträglichkeit des schon länger eingesetzten Carbamazepin. Ein Befunderhebungsversäumnis sei dem Beklagten nicht unterlaufen; es habe sich um eine einmalige Untersuchung in der Notfallambulanz gehandelt.

3. Mit ihrer Berufung hält die Klägerin an den erstinstanzlichen Anträgen fest. Sie wiederholt, vertieft und ergänzt ihr erstinstanzliches Vorbringen.

Der Beklagte verteidigt die Entscheidung des LG.

Wegen der Einzelheiten wird auf die in zweiter Instanz gewechselten Schriftsätze verwiesen.

4. Das Rechtsmittel ist ohne Aussicht auf Erfolg. Das LG hat die Klage zu Recht abgewiesen.

Dem Senat erscheint bereits zweifelhaft, ob der in der Notfallambulanz des Beklagten tätigen Fachärztin für Allgemeinmedizin objektiv ein Diagnoseirrtum unterlaufen ist. Die Berufung behauptet dies, indem sie unter Bezugnahme auf die Erkenntnisse nachbehandelnder Ärzte die These aufstellt, bei der Beklagten habe am 20.10.2010 eine Carbamazepin - Unverträglichkeitsreaktion vorgelegen. Das ist jedoch nicht gesichert, weil es im Entlassungsbericht des Universitätsklinikums des Saarlandes vom 4.11.2010 nach immerhin 7 - tägiger engmaschiger Betreuung und Verlaufskontrolle lediglich heißt, "wahrscheinlich" liege eine Arzneimittelreaktion au...

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