Entscheidungsstichwort (Thema)

Kein Rückgriff des gesetzlichen Krankenversicherers eines Kindes gegen Wohnraumvermieter bei grob fahrlässigem Fehlverhalten der Kindesmutter

 

Leitsatz (amtlich)

1. Stürzt ein in den Schutzbereich des Mietvertrages einbezogenes vierjähriges Kind wegen eines nicht schließenden Fensterriegels aus dem Fenster der Mietwohnung, kann der gesetzliche Krankenversicherer wegen der Behandlungskosten nicht beim Vermieter Rückgriff nehmen, wenn die Kindesmutter den Unfall durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat (hier bejaht).

2. Dass ein Mangel der Mietsache dem Vermieter angezeigt wurde, muss der Mieter beweisen. Dazu gehört auch, dass der Adressat der Mangelanzeige Vertreter oder Empfangsbote des Vermieters war oder dass sie dem Vermieter auf andere Weise zugegangen ist. Klagt ein Sozialversicherungsträger aus übergegangenem Recht, trifft ihn die Beweislast.

 

Normenkette

SGB X § 116 Abs. 6; BGB §§ 164, 249, 254, 276-278, 280, 421, 536, 536a, 536c, 823, 1631, 1664; StGB §§ 13, 229; ZPO §§ 286-287

 

Verfahrensgang

LG Mainz (Urteil vom 23.07.2012; Aktenzeichen 4 O 382/11)

 

Tenor

1. Der Senat weist die Parteien darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des LG Mainz vom 23.7.2012 - 4 O 382/11 einstimmig gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

2. Die Klägerin erhält Gelegenheit, zu den Hinweisen des Senates bis zum 14.2.2012 Stellung zu nehmen. Die Rücknahme der Berufung wird empfohlen.

 

Gründe

I. Die Klägerin verlangt von der Beklagten nach behauptetem gesetzlichem Forderungsübergang nach § 116 SGB X materiellen Schadensersatz.

Der zum Unfallzeitpunkt vierjährige Versicherungsnehmer der Klägerin wurde bei einem Sturz aus dem Fenster des 2. Obergeschosses eines von ihm mit seiner Mutter bewohnten Raumes schwer verletzt. Die Klägerin hat die Behandlungskosten von 23.719,93 EUR getragen.

Die Streithelfer sind Eigentümer, die Beklagte Vermieterin der Wohnung. Die Unterkunft besteht aus zwei selbständigen Räumen, die nicht miteinander verbunden sind, sondern wechselseitig nur über den Hausflur erreicht werden können. Ob der Mietvertrag mit der Mutter des verletzten Kindes oder mit dem Amt für Soziale Leistungen abgeschlossen wurde, ist zwischen den Parteien streitig.

Am 25.9.2007 verließ die Mutter, nachdem sie sich über das Kind geärgert hatte, die Wohnung. In der Zeit der Abwesenheit der Mutter gelang es dem Kind das Fenster des Zimmers zu erreichen. Es stürzte kurz danach aus dem Fenster auf den Bürgersteig.

Die Klägerin hat in erster Instanz vorgetragen, die Mutter des Kindes habe es nur 1 - 2 Minuten unbeaufsichtigt gelassen. Das Kind sei nur deshalb aus dem Fenster gestürzt, weil der Verriegelungsmechanismus des Fensters defekt war und es sich in keiner Hebelstellung mehr verschließen ließ, was der Beklagten auch bereits längere Zeit bekannt gewesen sei. Sie begehrt den vollen Ersatz ihrer Aufwendungen.

Die Beklagte und die Streitverkündeten haben diesen Vortrag bestritten und führen das Unfallereignis allein auf eine grob fahrlässige Aufsichtspflichtverletzung der Mutter zurück.

Das LG hat unter Einbeziehung der Ergebnisse der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen (StA Mainz, Az.: 3553 Js 37026/07) die Klage abgewiesen. Die Klage scheitere an § 116 Abs. 6 SGB X, der einen Anspruchsübergang ausschließe, wenn neben dem Schädiger auch ein nach dieser Vorschrift privilegierter Familienangehöriger dem Versicherungsnehmer hafte, weil dessen Privilegierung anderenfalls durch den Gesamtschuldnerausgleich zwischen den Schädigern ausgehöhlt werde. Vorliegend sei davon auszugehen, dass die Mutter ihrem Kind nach §§ 1664, 277 BGB hafte, da sie ihre Aufsichtspflicht nach § 1631 BGB grob fahrlässig verletzt habe. Sie habe damit den entscheidenden Verursachungsbeitrag geleistet. Ihr Verschulden sei auch so überwiegend, dass dahinter eine denkbare Haftung der Beklagten im Innenverhältnis gänzlich zurücktrete.

Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer Berufung. Der Sozialversicherungsträger könne sich insoweit an den Zweitschädiger - hier die Beklagte - halten, als dieser im Innenverhältnis für den Schaden hafte. Da die Beklagte von dem Mangel des Fensters über einen längeren Zeitraum Kenntnis gehabt habe, ohne eine abhelfende Tätigkeit zu entfalten, hafte sie im Innenverhältnis voll. Die Mutter des versicherten Kindes habe ihre Aufsichtspflicht nicht grob fahrlässig verletzt, sondern ihr nach Maßgabe der Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten (§ 1664 BGB) genügt. Sie habe mit dem Wegrücken des Sofas vom Fenster adäquat reagiert, so dass eine Aufsichtspflichtverletzung nicht festzustellen sei. Beruhe die Mithaftung eines Schädigers - der Mutter - nur darauf, dass er den anderen - die Beklagte - bei der Beseitigung einer Gefahr, nämlich der Reparatur des Fensters, nicht ausreichend beaufsichtigt habe, scheide nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ein Ausgleich im Innenverhältnis nach § 421 BGB aus. Die Beklagte könne aus Rechtsgründen auch keinen Mitverschuldenseinwand erheben. Da d...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge