Leitsatz (amtlich)

  • 1.

    Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts besteht bei schwer wiegenden Grundrechtseingriffen auch nachträglich ein Interesse an der Feststellung ihrer Rechtswidrigkeit. Zwar wird im vorliegenden Fall nicht die Freiheitsentziehung als solche beanstandet. Wohl aber richtet sich die Beanstandung gegen eine besonders einschneidende Art und Weise der zeitweiligen Unterbringung des Beschwerdeführers während des Strafvollzuges. Steht insoweit eine Verletzung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) in Frage, dann muss ein Rechtsschutzbegehren zur nachträglichen gerichtlichen Überprüfung zulässig sein.

  • 2.

    Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG gebietet den Gerichten, das Verfahrensrecht so anzuwenden, dass den erkennbaren Interessen des rechtsschutzsuchenden Bürgers bestmöglich Rechnung getragen wird. Statthafte Rechtsbehelfe dürfen nicht durch eine zu enge Auslegung und Anwendung prozessualer Regeln, wie der Annahme der prozessualen Überholung, leer laufen.

 

Verfahrensgang

LG Trier (Entscheidung vom 10.04.2003; Aktenzeichen 57 StVK 205/03)

 

Tenor

Der Beschluss der auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Trier in Wittlich vom 10. April 2003 wird aufgehoben.

Die Sache wird zu neuer Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an dieselbe Strafvollstreckungskammer zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Der Beschwerdeführer verbüßte vom 14. Dezember 2000 bis zum 15. November 2002 in der Justizvollzugsanstalt Wittlich einen Teil einer 3-jährigen Freiheitsstrafe. In den ersten Monaten des Jahres 2001 (nach seinem Vorbringen vom 10. Januar bis 18. April; nach Angaben der Anstalt ab 24. Januar) war er zusammen mit einem weiteren Strafgefangenen in einem Haftraum untergebracht, der nach seiner bis heute unwidersprochenen Behauptung eine Grundfläche von etwa 8 qm hatte und in der sich ein nicht verkleidetes, nicht gesondert entlüftetes Klosett in unmittelbarer Nähe von Esstisch und Schlafplätzen befand. Unklar ist, ob die Gemeinschaftsunterbringung mit seiner Zustimmung erfolgte (siehe S. 2 der Stellungnahme der Anstalt vom 4. April 2003 einerseits, S. 3 der Stellungnahme des Ministeriums der Justiz vom 3. Juni 2003 andererseits).

Ende März 2003 beantragte der Beschwerdeführer bei der Strafvollstreckungskammer, festzustellen, "dass die Unterbringung ... in einem mit insgesamt zwei Personen belegten Haftraum mit einer Grundfläche von etwa 8 qm und unverkleidetem, nicht gesondert entlüftetem Klosett in unmittelbarer Nähe von Esstisch und Schlafplätzen ... rechtswidrig war."

Unter Schilderung weiterer Einzelheiten und Hinweisen auf Rechtsprechung (wie OLG Frankfurt, StV 86, 27) legte er seine Auffassung dar, eine derartige Unterbringung sei "unmenschlich, erniedrigend und menschenunwürdig". Außerdem diene der Feststellungsantrag der Vorbereitung einer Staatshaftungsklage.

Mit Beschluss von 10. April 2003 hat die Strafvollstreckungskammer den Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unzulässig verworfen und ausgeführt:

"Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß § 109 StVollzG ist unzulässig.

Gemäß § 112 Abs. 1 StVollzG muss der Antrag binnen zwei Wochen nach Zustellung oder schriftlicher Bekanntgabe der Maßnahme oder ihre Ablehnung schriftlich oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Gerichts gestellt werden. In sinngemäßer Anwendung dieser Vorschrift hätte der Verurteilte in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang zu der angegriffenen Maßnahme tätig werden müssen. Da er dies nicht tat, ist der Antrag verfristet. Darüber hinaus fehlt nach Ansicht des Gerichtes auch das Rechtschutzbedürfnis, insbesondere vor dem Hintergrund, dass eine Wiederholungsgefahr beim Verurteilten, der am 15.11.2002 entlassen worden war, nicht bestehen dürfte.

Nur am Rande bemerkt sei festgestellt, dass der Antrag auch unbegründet ist. Zwar bestimmt § 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG, dass Gefangene während der Ruhezeit allein in ihren Hafträumen unter gebracht werden. In Abweichung davon bestimmt jedoch § 201 Nr. 3 StVollzG, dass Gefangene während der Ruhezeiten auch gemeinsam untergebracht werden dürfen, solange die räumlichen Verhältnisse der Anstalt dies erfordern. Diese Übergangsbestimmung gilt für solche Anstalten, mit deren Errichtung vor dem 01.01.1977 begonnen wurde (Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 8. Auflage 2000, 201 StVollzG, Rndnr. 3). Ausweislich der Stellungnahme der JVA Wittlich wurde diese in den Jahren 1897 - 1902 erbaut, sodass die Übergangsvorschrift Anwendung findet. Da die räumlichen Verhältnisse der Anstalt die gemeinsame Unterbringung erfordert haben, liegt ein Verstoß gegen § 18 StVollzG somit nicht vor."

II.

Die hiergegen gerichtete Rechtbeschwerde des ehemaligen Strafgefangenen Kurenbach ist zulässig, weil es geboten ist, die angefochtene Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen, den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts genügenden Rechtsprechung zu § 115 Abs. 3 StVollzG zu überprüfen. Sie ist auch begründet.

1.

Mit Beschluss vom 5. Dezember 2001 (2 BvR 527/99 u.a. in: www.bundesverfassungsgericht.de/cg...

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