Entscheidungsstichwort (Thema)

Verspätete Vorschusszahlung für Ergänzung des Gutachtens im selbständigen Beweisverfahren

 

Leitsatz (amtlich)

1. Unterbleibt die Vorschusszahlung für ein Ergänzungsgutachten im selbständigen Beweisverfahren, rechtfertigt das nicht die konstitutive Entscheidung des Gerichts, das Verfahren sei wegen Fristversäumung beendet.

2. Der Beweisantrag kann in derartigen Fällen nur unter den Voraussetzungen des § 296 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen werden. Dafür bedarf es einer gerichtlichen Ermessensentscheidung. Ein Ermessensnichtgebrauch führt zur Aufhebung des Zurückweisungsbeschlusses.

3. Das Beschwerdegericht darf unterbliebene oder fehlerhafte Ermessenserwägungen der angefochtenen Entscheidung nicht durch eigene ersetzen. In Ausnahmefällen kann jedoch das Ermessen derart reduziert sein, dass eine Zurückweisung des Beweisantrages als verspätet ausscheidet. Das Rechtsmittelgericht ist dann befugt, eine ergänzende Beweiserhebung anzuordnen.

4. Bei der Ermessenserwägung kann im Einzelfall auch zu berücksichtigen sein, dass einer erheblichen Verfahrensverzögerung durch das Gericht eine weniger schwer wiegende Verzögerung durch den Beweisführer gegenübersteht.

 

Verfahrensgang

LG Koblenz (Beschluss vom 16.12.2003; Aktenzeichen 8 OH 30/03)

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Einzelrichters der 8. Zivilkammer des LG Koblenz vom 16.12.2003 aufgehoben.

2. Das LG wird angewiesen, dem selbständigen Beweisverfahren durch eine ergänzende Beweisanordnung Fortgang zu geben.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Antragsgegner zu tragen.

4. Der Beschwerdewert beträgt 8.810,33 Euro.

 

Gründe

Nachdem das LG im selbständigen Beweisverfahren ein schriftliches Sachverständigengutachten eingeholt hatte, beantragte die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 11.11.2003 eine Ergänzung des Gutachtens. Dieser Schriftsatz befindet sich nicht bei den Akten; sämtliche Exemplare sind anscheinend den Bevollmächtigten des Antragsgegners übersandt worden. Das LG forderte „für die Ergänzung” einen Auslagenvorschuss von 500 Euro und setzte für die Einzahlung eine Frist von zwei Wochen, die mit Ablauf des 9.12.2003 ergebnislos verstrich. Daraufhin fasste das LG am 16.12.2003 den Beschluss, das selbständige Beweisverfahren sei wegen der unterbliebenen Vorschusszahlung beendet. Die richterliche Zustellungsanordnung vom selben Tag wurde erst einen Monat später am 16.1.2004 ausgeführt und die Zustellung am 19.1.2004 bewirkt.

Die Vorschusszahlung ist sodann – am 27.1.2004 eingehend – nachgeholt worden. Zugleich hat die Antragstellerin gegen den Beschluss vom 16.12.2003 Beschwerde eingelegt. Die Frist für die Vorschusszahlung habe sie übersehen. Da die Zahlung nachgeholt sei, müsse das Beweisverfahren fortgesetzt werden.

Das LG hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat vorgelegt.

Das Rechtsmittel ist zulässig (§§ 567 Abs. 1 Nr. 2, 569 Abs. 1 S. 1 ZPO) und begründet. Es führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses. Das LG muss das Beweisverfahren unter Berücksichtigung des Vorbringens im Schriftsatz der Antragstellerin vom 11.11.2003 durch eine ergänzende Beweiserhebung fortsetzen.

Der Einzelrichter hat für seine Entscheidung, das selbständige Beweisverfahren sei mangels Vorschusszahlung beendet, keine Rechtsgrundlage genannt. Daher ist nicht nachvollziehbar, auf welcher Vorschrift der ZPO oder des GKG der vom LG als konstitutiv betrachtete Ausspruch beruht. Da der Senat keine Rechtsgrundlage für eine derartige Entscheidung sieht, musste der angefochtene Beschluss schon aus diesem Grund aufgehoben werden.

Den in BauR 2003, 581 und OLGReport Frankfurt 2001, 103 abgedruckten Entscheidungen des OLG Thüringen und des OLG Frankfurt/Main liegen Sachverhalte zugrunde, die schon vom zeitlichen Ablauf nicht mit dem vorliegenden vergleichbar sind.

Die Entscheidung des LG ist auch nicht i.E. zutreffend. Versteht man den Beschlusstenor und die denkbar knapp gefassten Gründe dahin (§§ 133, 157 BGB), der Antrag auf ergänzende Beweiserhebung sei als verspätet zurückgewiesen worden, hat auch das keinen Bestand:

Die Beweisaufnahme im selbständigen Beweisverfahren erfolgt nach den für die Aufnahme des betreffenden Beweises geltenden allgemeinen Vorschriften (§ 492 Abs. 1 ZPO). Für den Beweis durch Sachverständige gelten die Vorschriften für den Beweis durch Zeugen entspr. (§ 402 ZPO), soweit nicht in §§ 403 ff. ZPO abweichende Vorschriften enthalten sind. War schriftliche Begutachtung angeordnet, kann das Gericht für Anträge und Ergänzungsfragen eine Frist setzen, wobei § 296 Abs. 1 und 4 ZPO entspr. gilt (§ 411 Abs. 4 ZPO).

Darum geht es hier nicht. Die insoweit gesetzte Frist hat die Antragstellerin beachtet.

Die Rechtsfolgen der verspäteten Vorschusszahlung ergeben sich vielmehr aus §§ 402, 379 ZPO. Auch in diesen Vorschriften findet die Entscheidung des LG jedoch keine Stütze. Gemäß § 379 S. 2 ZPO unterbleibt bei einer nicht fristgerechten Einzahlung des Vorschusses die weitere Beweisaufnahme...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge