Entscheidungsstichwort (Thema)

Maskenpflicht in Ladengeschäften u.a. Befreiung von der Maskenpflicht. Anforderungen an ärztliche Bescheinigung zur Befreiung von der Maskenpflicht. Ordnungswidrigkeitenrecht. Zu den Anforderungen an eine ärztliche Bescheinigung zur Befreiung von der bußgeldbewehrten Maskenpflicht nach §§ 3 Abs. 1 und 2, 19 Nr. 2 der baden-württembergischen Corona-Verordnung vom 30.11.2020

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Infektionsschutzgesetz enthielt mit den in den §§ 28, 28a, 32, 73 Abs. 1a Nr. 24 getroffenen Regelungen eine ausreichende, verfassungskonforme Ermächtigung für die in § 3 Abs. 1 Nr. 4 CoronaVO vom 30.11.2020 angeordnete Beschränkung (Pflicht zum Tragen einer nicht-medizinischen Alltagsmaske oder einer vergleichbaren Mund-Nasen-Bedeckung in und im Warte- und Zugangsbereich von Einkaufzentren und Ladengeschäften) und deren Bußgeldbewehrung in § 19 Nr. 2 CoronaVO.

2. Auch ein verwaltungsrechtlicher Erlaubnistatbestand, den eine Straf- oder Bußgeldvorschrift in Bezug nimmt (wie die Bußgeldbewehrung eines Verstoßes gegen die in § 3 Abs. 1 CoronaVO geregelte Maskenpflicht in § 19 Nr. 2 CoronaVO, sofern keiner der Ausnahmetatbestände nach § 3 Abs. 2 CoronaVO vorliegt), unterliegt jedenfalls dann den strengen Beschränkukngen des Art. 103 Abs. 2 GG, wenn er zur Ausfüllung der straf- oder bußgeldrechtlichen Blankettnorm herangezogen und damit selbst zum Teil der Straf- bzw. Bußgeldnorm wird.

3. Allein aus der Verwendung des Begriffs "ärztliche Bescheinigung" in § 3 Abs. 2 Nr. 2 CoronaVO ist - auch in Verbindung mit dem jedenfalls durch gefestigte Rechtsprechung konkretisierten Begriff der "Glaubhaftmachung" - für den Normadressaten nicht erkennbar, welche inhaltlichen Anforderungen an eine solche Bescheinigung zu stellen sind.

4. Eine Auslegung des in § 3 Abs. 2 Nr. 2 CoronaVO verwandten Begriffs "ärztliche Bescheinigung" dahingehend, dass die Vorlage eines qualifizierten ärztlichen Attests mit Angaben dazu erforderlich sei, welche gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund der Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung zu erwarten sind und woraus diese im Einzelnen resultieren, ob und ggf. welche relevanten Vorerkrankungen bestanden und auf welcher Grundlage der attestierende Arzt zu seiner Einschätzung gelangt ist, stellt eine vom Willen des baden-württembergischen Verordnungsgebers offensichtlich abweichende Auslegung der Ausnahmevorschrift dar und verletzt damit das im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht besondere Geltung beanspruchende Bestimmtheitsgebot aus Ar.t 103 Abs. 2 GG, das die Legislative von Verfassungs wegen verpflichtet, die Grenzen der Strafbarkeit selbst zu bestimmen.

 

Normenkette

IfSG § 28 Fassung: 2020-11-18, § 28a Fassung: 2020-11-18, §§ 32, 73 Abs. 1a Nr. 24 Fassung: 2020-11-18; CoronaVO BW § 3 Abs. 1 Nr. 4 Fassung: 2020-11-30, Abs. 2 Nr. 2 Fassung: 2020-11-30, § 19 Nr. 2 Fassung: 2020-11-30

 

Tenor

  1. Auf die Rechtsbeschwerde der Betroffenen wird das Urteil des Amtsgerichts S. vom 06. Juli 2021 aufgehoben.

    Die Betroffene wird freigesprochen.

  2. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Betroffenen trägt die Staatskasse.
 

Gründe

I.

Das Amtsgericht hat die Betroffene mit Urteil vom 06.07.2021 wegen einer vorsätzlichen Ordnungswidrigkeit des Nichttragens einer nicht medizinischen Alltagsmaske oder einer vergleichbaren Mund-Nasenbedeckung entgegen der zur Tatzeit gültigen Corona-Verordnung gemäß §§ 28 Abs. 1 Satz 1, 28a, 32, 73 Abs. 1a Nr. 24 IfSG i.V.m. §§ 19 Nr. 2, 3 Abs. 1 Nr. 4 CoronaVO (BW) zu einer Geldbuße von 70 EUR verurteilt.

Nach den vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen hielt sich die Betroffene am 12.12.2020 um 13:26 Uhr in den Geschäftsräumen des R. Marktes in d. auf, ohne die erforderliche Mund-Nasen-Bedeckung zu tragen. Dabei habe die Betroffene gewusst, dass sie sich in einem Ladengeschäft aufhielt, in dem eine Mund-Nasen-Bedeckung getragen werden muss. Dass der Betroffenen das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung aus gesundheitlichen oder sonstigen zwingenden Gründen nicht möglich oder zumutbar gewesen sei, habe sie nicht glaubhaft gemacht. Das von ihr vorgelegte ärztliche Attest habe dazu nicht ausgereicht, weil sich aus ihm nicht nachvollziehbar ergebe, welche konkret zu benennenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen aufgrund der Verpflichtung zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung zu erwarten seien, woraus diese im Einzelnen resultieren, ob und wenn ja welche Vorerkrankungen vorliegen und auf welcher Grundlage der attestierende Arzt zu seiner Einschätzung gelangt sei. Die bloße Feststellung, dass die Betroffene aus medizinischen Gründen keine Mund-Nasen-Bedeckung tragen müsse, genüge insoweit nicht.

Gegen dieses Urteil hat die Betroffene form- und fristgerecht Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gestellt. Sie macht die Verletzung formellen und materiellen Rechts geltend.

Die Generalstaatsanwaltschaft K. hat am 17.01.2022 beantragt, den Antrag der Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 80 Abs.4 OWiG als unbegründet zu verw...

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