Entscheidungsstichwort (Thema)

Besorgnis der Befangenheit eines Richters, der die Wartepflicht gemäß § 47 Abs. 1 ZPO verletzt

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Verstoß eines abgelehnten Richters gegen die Wartepflicht gemäß § 47 Abs. 1 ZPO kann eine Besorgnis der Befangenheit begründen.

2. Der Hinweis des abgelehnten Richters, er habe sich bei Eingang der Klageerwiderung zunächst nur das Inhaltsverzeichnis angeschaut und dadurch einen Befangenheitsantrag übersehen, entspricht unabhängig von der Länge des Schriftsatzes nicht den berechtigten Erwartungen der Partei.

3. Verstößt ein Richter zweimal gegen seine Wartepflicht gemäß § 47 Abs. 1 ZPO, weil er in zwei Schriftsätzen die Befangenheitsanträge der Beklagten übersehen hat, kann dies aus der Perspektive der Partei den Eindruck evident fehlender Sorgfalt erwecken. Dies kann die Befürchtung begründen, der Richter werde auch bei einer späteren Sachentscheidung das Vorbringen der Partei nicht in angemessener Weise ernst nehmen.

 

Normenkette

ZPO §§ 42, 47 Abs. 1

 

Verfahrensgang

LG Konstanz (Beschluss vom 02.03.2022; Aktenzeichen E 5 O 221/21)

 

Tenor

1. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten wird der Beschluss des Landgerichts Konstanz vom 02.03.2022 - E 5 O 221/21 - aufgehoben, soweit die Entscheidung das Ablehnungsgesuch gegen Richter am Landgericht A. betrifft.

2. Das Ablehnungsgesuch gegen Richter am Landgericht A. wird für begründet erklärt.

 

Gründe

I. Die Klägerin hat der Beklagten ein Gewerbeobjekt in S. zum Betrieb eines chinesischen Restaurants untervermietet. Im Zusammenhang mit diesem Vertragsverhältnis streiten die Parteien im Verfahren vor dem Landgericht über verschiedene wechselseitige Ansprüche. Im Beschwerdeverfahren wendet sich die Beklagte gegen die Zurückweisung ihres Befangenheitsgesuchs gegen den Einzelrichter des Landgerichts Konstanz, Richter am Landgericht A..

Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 02.08.2021 hat die Klägerin Klage gegen die Beklagte erhoben mit dem Antrag, die Beklagte zur Räumung der Gewerbeimmobilie zu verurteilen, da die Beklagte in erheblichem Umfang Pflichten aus dem Untermietverhältnis verletzt habe. Die Beklagte hat mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 18.11.2021 erwidert und Klageabweisung beantragt. Auf Seite 5 und Seite 6 dieses Schriftsatzes (I, 103, 104) hat die Beklagte verschiedene Verfahrensverstöße der Richterin Dr. B. und des Richters am Landgericht A. gerügt. Auf diese Vorwürfe hat die Beklagte eine Ablehnung der Richterin Dr. B. und des Richters am Landgericht A. wegen Besorgnis der Befangenheit gestützt.

Mit Schriftsatz vom 21.11.2021 (I, 203 ff.) hat die Klägerin ihre Klage erweitert. Sie hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, bestimmte von ihr näher konkretisierte Umbaumaßnahmen im Mietobjekt zu unterlassen. Der für das Verfahren zuständige Einzelrichter, Richter am Landgericht A., hat mit Verfügung vom 22.11.2021 (I, 208) der Beklagten eine Frist zur Stellungnahme zur Klageerweiterung gesetzt und gleichzeitig die vorher eingegangene Klageerwiderung an die Klägerin übermittelt mit dem Hinweis, eine Replikfrist werde nach Stellungnahme der Beklagten zur Klageerweiterung gesetzt werden.

Die Beklagte hat durch Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 02.12.2021 beantragt, die gesetzte Frist zur Stellungnahme zur Klageerweiterung zu verlängern. Auf Seite 3 ff. dieses Schriftsatzes hat die Beklagte ihre Rügen gegen die Verfahrensbehandlung durch Richter am Landgericht A. wiederholt und gleichzeitig auf einen Verstoß des Richters gegen § 47 Abs. 1 ZPO hingewiesen. Nach dem Befangenheitsantrag in der Klageerwiderung sei der abgelehnte Richter zur Verfügung vom 22.11.2021 mit Frist zur Stellungnahme zur Klageerweiterung nicht befugt gewesen. Dieser Verstoß begründe schon für sich eine Ablehnung. Die Beklagte hat gleichzeitig die Ablehnungsanträge gegen Richterin Dr. B. und Richter am Landgericht A. wiederholt. Richter am Landgericht A. hat daraufhin mit Verfügung vom 03.12.2021 (I, 319) die Frist der Beklagten zur Stellungnahme zur Klageerweiterung antragsgemäß bis zum 12.01.2022 verlängert.

Mit Schriftsatz vom 30.12.2021 hat die Beklagte eine Widerklage erhoben mit dem Antrag, die Klägerin zur Zahlung von 17.454,71 EUR nebst Zinsen wegen überzahlter Nebenkosten zu verurteilen, und mit dem weiteren Antrag, die Klägerin zur Wiederanbringung einer Leuchtreklame an dem Gewerbeobjekt zu verurteilen. Die Beklagte hat in diesem Schriftsatz erneut auf ihre Ablehnungsgesuche hingewiesen und auf Verstöße des abgelehnten Richters am Landgericht A. gegen § 47 Abs. 1 ZPO.

Richter am Landgericht A. hat am 12.01.2022 eine dienstliche Äußerung zum Ablehnungsgesuch abgegeben. Nach seiner Erinnerung habe er das Inhaltsverzeichnis der Klageerwiderung angesehen, zur Kenntnis genommen, dass diese 103 Seiten umfasse, und sich entschlossen, wegen der Klageerweiterung und der insoweit notwendigen weiteren Stellungnahme der Beklagten eine entsprechende Frist zu setzen, ohne die Klageerwiderung selbst durchzulesen, ...

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