Leitsatz (amtlich)

1. Hat das Familiengericht im ersten Rechtszug eine Hauptsacheentscheidung getroffen, ohne ein Hauptsacheverfahren eingeleitet zu haben, und das einstweilige Anordnungsverfahren nicht abgeschlossen, hat es in der Sache nicht entschieden, weshalb der erstinstanzliche Beschluss gemäß § 69 Abs. 1 Satz FamFG aufzuheben und das Verfahren an das Familiengericht zurückverweisen ist.

2. In einem solchen Fall kann das Oberlandesgericht gemäß § 68 Abs. 3 FamFG ohne mündliche Verhandlung über die Beschwerde entscheiden. § 68 Abs. 5 Nr. 2 FamFG ist nicht anwendbar. Auch lägen die Voraussetzungen nicht vor, da die Aufhebung und Zurückverweisung keine Sachentscheidung im Sinne der Vorschrift darstellen.

 

Verfahrensgang

AG Bruchsal (Aktenzeichen 2 F 1253/21)

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Bruchsal (2 F 1253/21) vom 19.07.2022 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Sachbehandlung und Entscheidung an das Amtsgericht - Familiengericht - Bruchsal zurückverwiesen.

2. Der Verfahrenswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.000 EUR festgesetzt.

3. Für das Beschwerdeverfahren werden keine Gerichtskosten erhoben. Im Übrigen wird dem Familiengericht die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens übertragen.

 

Gründe

I. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist die vorläufige Regelung des Umgangs des Antragstellers mit seinen vier Kindern. Der Antragsteller hat mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 26.10.2021 die Regelung des Umgangs mit seinen Kindern im Wege einer einstweiligen Anordnung beantragt, worauf das Familiengericht ein einstweiliges Anordnungsverfahren eingeleitet hat. Mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 08.04.2022 hat der Antragsteller beantragt, das Verfahren fortzuführen und einen Verhandlungstermin anzuberaumen.

Das Familiengericht hat nach mündlicher Verhandlung mit Beschluss vom 19.07.2022 eine Umgangsregelung getroffen und hierzu u.a. ausgeführt, das Verfahren sei ursprünglich als einstweiliges Verfahren geführt worden und aufgrund der im Schriftsatz vom 08.04.2022 enthaltenen Anregung des Verfahrensbevollmächtigten des Antragstellers als Hauptsacheverfahren weitergeführt worden.

Der Antragsteller hat mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 21.07.2022 Beschwerde gegen den Beschluss vom 19.07.2022 eingelegt.

Die Antragsgegnerin tritt der Beschwerde entgegen. Der Umgangsausschluss sei zu Recht erfolgt.

Der Verfahrensbeistand berichtet, C. und F. seien am 05.09.2022 in dem nunmehr eingeleiteten Hauptsacheverfahren vor dem Familiengericht angehört worden und hätten sich gegen einen Umgang mit ihrem Vater ausgesprochen. Nachdem das Familiengericht im Hauptsacheverfahren einen Termin zur Anhörung der übrigen Beteiligten auf den 19.09.2022 anberaumt habe, werde angeregt, aus verfahrensökonomischen Gründen zunächst nicht über die vorliegende Beschwerde zu entscheiden.

II. Die Beschwerde des Antragstellers ist gemäß §§ 58 ff. FamFG zulässig. Einstweilige Anordnungen in Umgangsverfahren sind zwar gemäß § 57 FamFG nicht anfechtbar, das Familiengericht hat jedoch (verfahrensordnungswidrig) eine Hauptsacheentscheidung erlassen. Hierdurch darf den Beteiligten kein Rechtsnachteil entstehen. Ihnen steht deshalb auch das Rechtsmittel zu, das nach der Art der tatsächlich ergangenen Entscheidung statthaft ist (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Februar 2018 - XII ZR 87/17 -, juris Rn. 13), im vorliegenden Fall die Beschwerde gemäß § 58 FamFG.

Der angefochtene Beschluss kann keinen Bestand haben. Das familiengerichtliche Verfahren und die getroffene Entscheidung leiden an einem schwerwiegenden Mangel. Das Familiengericht hat eine Hauptsacheentscheidung getroffen, ohne ein Hauptsacheverfahren eingeleitet zu haben, und das einstweilige Anordnungsverfahren bisher nicht abgeschlossen. Folglich hat es in der Sache nicht entschieden, weshalb der erstinstanzliche Beschluss gemäß § 69 Abs. 1 Satz FamFG aufzuheben und das Verfahren an das Familiengericht zurückverweisen ist.

Entgegen den Ausführungen des Familiengerichts wurde im Schriftsatz vom 08.04.2022 lediglich die Fortsetzung des einstweiligen Anordnungsverfahrens beantragt. Ein Hauptsacheverfahren wurde vor der Entscheidung vom 19.07.2022 weder angeregt noch eingeleitet. Ein Verfahren wird zu dem Zeitpunkt eingeleitet, zudem das Gericht Ermittlungen aufnimmt und sein entsprechenden Tätigwerden nach außen erkennbar wird (Ahn-Roth in: Prütting/Helms, FamFG, 5. Aufl. 2020, § 24 FamFG Rn. 4a m.w.N.; Sternal in: Kreidel, FamFG - Familienverfahren, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 20. Auflage 2020, § 24 FamFG Rn. 4; Jacoby in: Dutta/Jacoby/Schwab, FamFG, 4. Aufl. 2022, § 24 FamFG Rn. 3 m.w.N.). Eine entsprechende Vorgehensweise des Familiengerichts ist der Akte nicht zu entnehmen. Die Absicht, ein Hauptsachverfahren zu führen, wird erstmals in der Endentscheidung des Familiengerichts deutlich. Damit hat das Familiengericht ein bis zuletzt als einstweiliges Anordnungsv...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge