Leitsatz (amtlich)

Die Frage, ob bei einem Kind die Tetanusimpfung durchgeführt wird, stellt keine Angelegenheit des täglichen Lebens im Sinne des § 1687 Abs. 1 BGB dar.

Bei bestehender Alleinsorge kann dem anderen Elternteil gemäß § 1671 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BGB auf Antrag der Teilbereich Gesundheitsfürsorge, namentlich die Entscheidungsbefugnis über die Durchführung der Tetanusimpfung, allein übertragen werden, wenn insoweit eine gemeinsame Sorge nicht in Betracht kommt und zu erwarten ist, dass die Übertragung auf den anderen Elternteil dem Wohl des Kindes am besten entspricht.

 

Verfahrensgang

AG Freiburg i. Br. (Beschluss vom 05.05.2015; Aktenzeichen 46 F 992/15)

 

Tenor

1. Die Beschwerde der Mutter gegen den Beschluss des AG - Familiengericht - Freiburg vom 05.05.2015 (46 F 992/15) wird zurückgewiesen mit der Maßgabe, dass Ziffer 1 und 2 des Beschlusses wie folgt abgeändert werden:

Die elterliche Sorge für das Kind..., geboren am..., wird im Bereich Gesundheitsfürsorge - Entscheidungsbefugnis über die Durchführung der Tetanusimpfung - auf den Vater übertragen.

2. Der Antrag der Mutter auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Mutter.

4. Der Verfahrenswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Eltern des am... geborenen... streiten darüber, ob das Kind gegen Tetanus geimpft werden soll.

Die Eltern von... leben getrennt; sie waren und sind nicht miteinander verheiratet. Eine gemeinsame Sorgeerklärung wurde nicht abgegeben... lebt seit seiner Geburt bei der allein sorgeberechtigten Mutter. Der Vater übt regelmäßig sein Umgangsrecht mit... aus.

Mit am 15.04.2015 beim AG Freiburg eingegangenem Schriftsatz hat der Vater eine Kindeswohlgefährdung angezeigt, da die Mutter sich weigere,... gegen Tetanus impfen zu lassen. In der mündlichen Verhandlung am 29.04.2015 beantragte der Vater, ihm diesen Teilbereich der elterlichen Sorge zu übertragen. Die Mutter ist dem entgegen getreten.

Das AG - Familiengericht - Freiburg hat der Mutter mit Beschluss vom 05.05.2015 die elterliche Sorge für den Teilbereich Gesundheitsfürsorge "Tetanusimpfung" gemäß § 1666 BGB entzogen und dem Vater übertragen. Auf die Entscheidung des Familiengerichts wird verwiesen.

Gegen diesen ihr am 11.05.2015 zugestellten Beschluss hat die Mutter mit am 20.05.2015 beim AG Freiburg eingegangenem Schriftsatz Beschwerde eingelegt. Die Mutter habe sich nach einer umfassenden Risiko-Nutzen-Abwägung dazu entschlossen,... wegen möglicher Nebenwirkungen und Impfschäden nicht gegen Tetanus impfen zu lassen. Der medizinische Nutzen einer Tetanusimpfung sei nicht wirklich nachgewiesen. Bisher sei das Kind nicht an Tetanus erkrankt und habe sich noch keine Wunden zugezogen, die eine Tetanusimpfung erfordert hätten. Eine Kindeswohlgefährdung, die ein staatliches Einschreiten gemäß § 1666 BGB erforderlich mache, liege nicht vor.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Akteninhalt Bezug genommen.

II. Die zulässige Beschwerde der Mutter hat in der Sache keinen Erfolg. Das Familiengericht hat im Ergebnis eine überzeugende Entscheidung zum Wohle des Kindes... getroffen.

1. Zwar kann - worauf die Mutter mit ihrer Beschwerde zutreffend hinweist - allein in der Nichtimpfung des Kindes gegen Tetanus keine konkrete Kindeswohlgefährdung gesehen werden, die eine Maßnahme nach § 1666 BGB rechtfertigen könnte (OLG Hamm FamRZ 2002, 691, juris Rn. 7: "sehr eingeschränkte Eingriffsmöglichkeit durch staatliche Gewalt"; Staudinger/Coester, BGB, 2009, § 1666 Rn. 104). Die Übertragung der elterlichen Sorge für... im Teilbereich Gesundheitsfürsorge, namentlich Entscheidungsbefugnis über die Durchführung der Tetanusimpfung, auf den Vater wird jedoch durch § 1671 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BGB gestützt. Danach kann bei bestehender Alleinsorge der Mutter eines nichtehelich geborenen Kindes dem Vater auf Antrag ein Teil der elterlichen Sorge allein übertragen werden, wenn insoweit eine gemeinsame Sorge nicht in Betracht kommt und zu erwarten ist, dass die Übertragung auf den Vater dem Wohl des Kindes am besten entspricht.

Die Frage, ob bei dem Kind die Tetanusimpfung durchgeführt wird, stellt keine Angelegenheit des täglichen Lebens im Sinne des § 1687 Abs. 1 BGB dar, die von der Mutter - oder aber vom Vater gemäß § 1687a BGB - allein entschieden werden könnte (KG Berlin FamRZ 2006, 142: Impfung gegen Masern, Mumps, Röteln, Tetanus, Diphterie, Hib und Polio; a.A. OLG Frankfurt FamRZ 2011, 47, juris Rn. 13 (Schweinegrippe); OLG Dresden FamRZ 2011, 48, juris Rn. 5). Denn medizinische Eingriffe und Behandlungen gehören mit Ausnahme von Routineuntersuchungen oder häufig vorkommenden, nicht ungewöhnlichen Erkrankungen regelmäßig zu den Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung für das Kind, da sie mit der Gefahr von Komplikationen und - wenn auch statistisch betrachtet geringen - Nebenwirkungen verbunden sind (OLG Bamberg FamRZ 2003, 104, juris Rn. 22; Johannsen/He...

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