Entscheidungsstichwort (Thema)

Unzulässigkeit der Auslieferung in die Türkei zur Strafvollstreckung wegen unerträglich hoher Strafe bei Tötung eines anderen in Putativnotwehr

 

Normenkette

IRG § 73; EuAlübk Art. 2 Abs. 1

 

Tenor

Der Antrag auf Anordnung der förmlichen Auslieferungshaft wird abgelehnt.

 

Gründe

I.

Die Türkei begehrt die Auslieferung des Verfolgten zur Strafvollstreckung wegen Totschlags. Das Auslieferungsersuchen ist gestützt auf den Haftbefehl der Oberstaatsanwaltschaft Korgan vom 08.08.2011 in Verbindung mit dem Urteil des Schwurgerichts zu Ünye vom 09.03.2010 (Grundnummer: #####/####, Beschlussnummer: #####/####), durch dass der Verfolgte wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt worden ist. Von dieser noch zu vollstreckenden Strafe ist eine anzurechnende Haftzeit von 161 Tagen in Abzug zu bringen. Das Urteil des Schwurgerichts zu Ünye vom 09.03.2010 wurde durch Urteil der 1. Strafkammer des Revisionsgerichts vom 17.05.2011 (Grundnummer: #####/####, Beschlussnummer: #####/####) bestätigt und ist seitdem rechtskräftig.

Nach den Feststellungen des Urteils des Schwurgerichts zu Ünye vom 09.03.2010 war es zwischen dem Verfolgten und seinem Bruder T L zu einer Auseinandersetzung über die Ernte der Haselnüsse aus dem im Dorf Z1 des Kreises Korgan/Türkei gelegenen Nussgarten des Verfolgten, dessen Pflege T L übernommen hatte, gekommen, der zu staatsanwaltlichen Ermittlungen geführt hatte, da T L im Rahmen dieses Konflikts den Verfolgten wiederholt bedroht hatte. Am 26.08.2005 schoss T L in dem Haselnussgarten, nachdem er den Verfolgten, der sich dort mit seinen beiden Söhnen L und O L aufhielt, auf die nach seiner Ansicht ihm zustehendene Haselnussernte hingewiesen und sich beleidigend gegenüber seinen beiden Neffen geäußert hatte, mit einer unerlaubt von ihm mitgeführten Schusswaffe aus einer Entfernung von 9 Metern zunächst zwei Mal auf den L, der jedoch nicht getroffen wurde und auf dem Gartengelände ca. 5 Meter nach oben flüchtete. Sodann schoss T L, und zwar ebenfalls jeweils zwei Mal, aus einer Entfernung von 4 Metern auf den O L und aus einer Entfernung von 11 Metern auf den Verfolgten und verletzte beide lebensgefährlich. Anschließend begab er sich in Richtung des geflüchteten L und versuchte, aus einer Entfernung von 2 - 3 Metern erneut auf diesen zu schießen. Es löste sich aber kein Schuss, da sich in der Waffe keine Patrone mehr befand. Als T L sich daraufhin mit seiner Schusswaffe beschäftigte, versetzte ihm L mit einem Stock einen Schlag auf den Kopf und versuchte gleichzeitig, ihm die Schusswaffe aus den Händen zu reißen, was ihm aber nicht gelang, da T L die Waffe nicht loslassen wollte. Es kam zu einem Gerangel zwischen L und T L, bei dem beide über den dort befindlichen Stacheldrahtzaun auf den Boden fielen. Der Verfolgte hatte sich inzwischen den beiden Kämpfenden genähert und schlug mit einem von ihm ergriffenen Pfahl des Stacheldrahtzauns massiv auf den Kopf und die Rippen des mit seinem Sohn L kämpfenden Bruders T L ein, wodurch dieser innere Blutungen und eine Hirnblutung erlitt, die zu seinem Tod führten. Nach den weiteren Ausführungen in den Urteilsgründen konnte nicht eindeutig geklärt werden, inwieweit der Verfolgte sowie seine beiden Söhne "darüber Kenntnis hatten, ob in der Waffe des Getöteten T L die Kugeln ausgegangen waren oder die Waffe eine Ladehemmung gehabt hat, so dass die Waffe nicht losgegangen ist, als der Getötete auf O schießen wollte."

Die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm hat beantragt, gegen den Verfolgten die förmliche Auslieferungshaft anzuordnen.

II.

Der Antrag auf Anordnung der förmlichen Auslieferungshaft war abzulehnen, da die Voraussetzungen für die Anordnung der förmlichen Auslieferungshaft nach § 15 IRG nicht vorliegen.

Die Auslieferung des Verfolgten in die Republik Türkei erscheint derzeit nach summarischer Prüfung als von vornherein unzulässig gemäß § 15 Abs. 2 IRG.

Nach den dem Senat vorliegenden bisherigen Erkenntnissen ist die Auslieferung des Verfolgten zur Strafvollstreckung als unzulässig anzusehen, da die durch das Urteil des Schwurgerichts zu Üyne vom 09.03.2010 verhängte Freiheitsstrafe von 15 Jahren für die dem Verfolgten zur Last gelegte Tat und damit auch die Auslieferung des Verfolgten zur Vollstreckung dieser Strafe unabhängig von der Frage der beiderseitigen Strafbarkeit nach Art. 2 Abs. 1 EuAlübk und § 3 Abs. 1 IRG jedenfalls gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen. Die Auslieferung des Verfolgten würde unter diesen Umständen wesentlichen Grundsätzen der deutschen Rechtsordnung widersprechen und wäre daher gem. § 73 IRG unzulässig.

Eine Auslieferung verstößt dann gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nach deutschem Recht, wenn die von dem ersuchenden Staat gegen den Verfolgten verhängte Strafe als unerträglich schwere Strafe anzusehen ist (vgl. Schomburg/ Lagodny/Glesch/Hackner, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen, 5. Aufl., § 73 Rdn. 60 m. w. N.; OLG Hamm, NStZ-RR 2001, 315). Ein solcher Fa...

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