Entscheidungsstichwort (Thema)

Selbstbehalt: Mittelwert bei Unterhaltspflicht gegenüber volljährigem Kind mit selbstständiger Lebensstellung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Der Selbstbehalt eines Elternteils gegenüber einem in selbstständiger Lebensstellung befindlichen volljährigen Kind kann mit 2.000 DM (als Mittelwert zwischen dem angemessenen Selbstbehalt der Eltern gegenüber volljährigen, in Ausbildung befindlichen Kindern und dem Selbstbehalt von Kindern bei Inanspruchnahme durch ihre Eltern) angesetzt werden.

2. Ein Verstoß des Kindes des Kindes gegen die Gebote der Sittlichkeit kommt in Betracht, wenn es in seiner Lebensführung Risiken auf Kosten der Eltern in Kauf nimmt (hier: ziellose Fortführung des Studiums, Arbeit ohne soziale Absicherung).

 

Normenkette

BGB § 1611

 

Verfahrensgang

AG Gronau (Westfalen) (Aktenzeichen 13 F 131/01)

 

Tenor

Auf die Berufung des Klägers wird das am 14.12.2000 verkündete Urteil des AG Gronau teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für ihre Tochter M.W. wie folgt Unterhalt zu zahlen:

a) für die Zeit von Juni 1999 bis Juli 2000 4.200 DM nebst 8 % Zinsen seit dem 1.8.2000;

b) für August und September 2000 monatlich 300 DM;

c) ab Oktober 2000 monatlich 200 DM.

Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen zu 1/3 die Beklagte und zu 2/3 der Kläger. Die Kosten der ersten Instanz werden der Beklagten zu 1/5 auferlegt, dem Kläger zu 4/5.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

 

Tatbestand

Der Kläger macht gegen die Beklagte die deren Tochter M.W. zustehenden Unterhaltsansprüche geltend, die er als Träger der Sozialhilfe auf sich übergeleitet hat. Dem liegt Folgendes zu Grunde:

Die Beklagte hat zusammen mit ihrem bereits verstorbenen Ehemann 7 Kinder großgezogen. Die Tochter M. geboren am 24.4.1954, hat nach dem Realschulabschluss eine dreijährige Ausbildung als Fotogravurzeichnerin absolviert und am 31.7.1973 erfolgreich abgeschlossen. Danach hat sie die Fachoberschule besucht und im Herbst 1974 die Fachhochschulreife erlangt. Anschließend hat sie zunächst an der Fachhochschule für Design in D. studiert, später ab dem Sommersemester 1976 an der Fachhochschule für Design in M. Dort war sie bis zum Sommersemester 1995 eingeschrieben, ohne je eine Diplomprüfung zu absolvieren. Die Eltern haben die Ausbildung ihrer Tochter bis Ende 1985 finanziell unterstützt, zuletzt mit monatlich 300 DM. Ihren weiteren Bedarf hat die Tochter durch verschiedene Nebentätigkeiten gedeckt. Als die Eltern ihre Zahlungen Ende 1985 gänzlich einstellten, bestritt die Tochter ihren ganzen Lebensunterhalt durch neben dem Studium geleistete Erwerbstätigkeit. Dazu arbeitete sie ab September 1987 20 Wochenstunden bei der Post. Da sie noch als Studentin eingeschrieben war, zahlte sie nur Beiträge zur Krankenversicherung, nicht zur Rentenversicherung. Im Februar 1995 gab sie ihre Stelle bei der Post gegen eine Abfindung von 17.000 DM auf, weil sie gesundheitliche Probleme hatte. Im September 1995 beantragte sie Sozialhilfe. Bei einer vom Sozialamt veranlassten ärztlichen Untersuchung wurde eine Psychose festgestellt. Nach einer 4 Monate dauernden stationären Behandlung folgte eine 2-jährige Rehabilitationsmaßnahme, die aber keinen durchschlagenden Erfolg hatte. Nach der amtsärztlichen Stellungnahme vom 23.6.1999 lag weiterhin Erwerbsunfähigkeit vor. Diese Erwerbsunfähigkeit dauert unstreitig fort. Der Kläger leistet daher fortlaufend Sozialhilfe i.H.v. monatlich rund 1.200 DM.

Der Kläger hat etwaige gegen die Beklagte bestehende Unterhaltsansprüche der Tochter auf sich übergeleitet. Er hat vorgetragen, das anrechenbare Einkommen der Beklagten betrage 2.920 DM. Unter Berücksichtigung des angemessenen Selbstbehalts von 1.800 DM sei sie daher in der Lage, Unterhalt i.H.d. erbrachten Sozialhilfeleistungen zu zahlen.

Er hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn für Frau M.W. Unterhalt zu zahlen:

a) für die Zeit von Juni 1999 bis Juli 2000 rückständige Beträge i.H.v. 15.068 DM nebst 8 % Zinsen seit dem 1.8.2000;

b) ab August 2000 monatlich 1.120 DM.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat geltend gemacht, der Unterhaltsanspruch ihrer Tochter sei verwirkt. Diese habe gegen die Pflicht verstoßen, ihr Studium zügig zu Ende zu bringen. Unterstelle man, dass sie ihr Examen nach einer im oberen Bereich liegenden Studiendauer von 5 Jahren abgeschlossen und anschließend gearbeitet hätte, wäre ihr Lebensbedarf heute durch eine Erwerbsunfähigkeitsrente zumindest im Umfang des Sozialhilfebezugs abgedeckt.

Dass sie nicht diesen Weg gewählt, sondern ohne Abschluss fortlaufend studiert und trotz nebenher laufender Erwerbstätigkeit keine Absicherung für das Risiko der Berufs- und Erwerbsunfähigkeit geschaffen habe, sei eine Lebensführungsschuld. Ihre Inanspruchnahme sei auch i.S.v. § 1611 BGB grob unbillig, da sie sieben Kinder aufgezogen und M. bei ihrer Ausbildung hinreichend unterstützt habe. Hilfsweise hat die Beklagte geltend gemacht, dass...

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