Verfahrensgang

LG Bielefeld (Urteil vom 22.01.1996; Aktenzeichen 4 O 475/95)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das am 22. Januar 1996 verkündete Urteil des Einzelrichters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Es beschwert die Klägerin in Höhe von 14.543,87 DM.

 

Tatbestand

(abgekürzt gem. § 543 Abs. 1 ZPO)

I.

Die Parteien streiten über die Verantwortlichkeit für einen Sturz, den die Klägerin am 11.02.1995 auf einer Treppe im Hause der Beklagten erlitten hat.

Diese aus Holzstufen bestehende Treppe verbindet das Erdgeschoß des 1912 errichteten Hauses mit dem Obergeschoß und wendet sich im oberen Bereich um 90° nach rechts, wo sie dann in einem kleinen Vorflur endet. Sie ist auf der rechten Seite – d.h. der Innenseite der Wendung – mit einem Handlauf versehen und weist etwa in ihrem mittleren Bereich eine Durchgangshöhe von lediglich 1,56 m auf. Als im Jahre 1991 der Boden des Obergeschosses im Zuge von Ausbaumaßnahmen durch Fermazellplatten um 7 cm angehoben wurde, entstand auf dem bisherigen oberen Treppenabsatz eine weitere Stufe, deren Höhe mit 7 cm deutlich geringer als die der sonstigen Treppenstufen war und die in Höhe des früheren Absatzes eine Auftrittbreite von lediglich 25 cm aufwies.

Zur Unfallzeit besuchte die Klägerin ihre damals gemeinsam mit dem Zeugen …, einem Enkel der Klägerin, in dem Obergeschoß zur Miete wohnende Tochter …, wie sie es zuvor auch schon über ein Jahr lang mehrmals pro Woche getan hatte. Als sie die Treppe hinabgehen wollte, kam sie auf der ersten Stufe zu Fall und zog sich eine Sprunggelenkfraktur zu. Die Umstände des Sturzes im einzelnen und die Verantwortlichkeit für den Unfall sind zwischen den Parteien streitig.

Die Klägerin hat behauptet, sie sei mit einem Fuß auf dem oberen Treppenabsatz abgerutscht und habe dadurch ihr Gleichgewicht verloren. Sodann habe sie den Handlauf wegen dessen ungünstiger Lage (auf der Innenseite der Treppenwendung) nicht fest ergreifen können und sei deshalb schließlich zu Fall gekommen. Der Sturz sei allein auf die „bauordnungswidrige” Treppenkonstruktion und eine unzureichende Haltevorrichtung zuzurückzuführen. Durch die Herstellung bzw. Aufrechterhaltung dieses Zustandes habe die Beklagte die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht schuldhaft verletzt. Mit ihrer Klage hat sie Schmerzensgeld und materiellen Schadenersatz begehrt.

Die Beklagte ist diesem Begehren entgegengetreten und hat eine Sicherungspflichtverletzung in Abrede gestellt.

Das Landgericht hat nach Vernehmung von Zeugen und Anhörung der Beklagten die Klage abgewiesen. Es hat eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht bezweifelt und einen Schadenersatzanspruch jedenfalls wegen weit überwiegenden Eigenverschuldens der Klägerin verneint.

Mit der hiergegen gerichteten Berufung verfolgt die Klägerin ihre bisherigen Klageanträge in vollem Umfang weiter und begehrt zusätzlich Feststellung einer Ersatzpflicht der Beklagten für künftige materielle Unfallschäden.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Der Klägerin steht aufgrund ihres Sturzes kein Schadenersatzanspruch aus §§ 847, 823 BGB gegen die Beklagte zu.

1.

Es ist schon zweifelhaft, ob der Beklagten überhaupt ein Verschulden an dem Unfall angelastet werden kann.

a)

Zwar ist der Vermieter einer Wohnung im Rahmen der ihm obliegenden Verkehrssicherungspflicht auch für die Sicherheit der zu den Mieträumen führenden Treppe verantwortlich. Dabei erfaßt diese Pflicht jedoch nicht alle erdenklichen von den Treppe ausgehenden Risiken. Sie ist vielmehr auf solche Gefahrenquellen beschränkt, mit denen der Verkehr nach seinen vernünftigen Sicherheitserwartungen nicht zu rechnen braucht und auf die er sich nicht ohne weiteres selbst einstellen kann. Da diese Erwartungen bei erkennbar alten Gebäuden und Gebäudeteilen – auch einer Treppe – im allgemeinen geringer sind als bei neueren Anlagen, muß sich dies auch bei der Bestimmung der Höhe der von den Verkehrssicherungspflichtigen jeweils zu gewährleistenden Sicherheitsstandards auswirken. Jedoch sind auch bei älteren Gebäuden jedenfalls die dringenden Sicherheitsbedürfnisse – etwa hinsichtlich der Standfestigkeit einer Treppe oder des Vorhandenseins eines Treppengeländers – ohne Einschränkung zu erfüllen. Ferner sind Maßnahmen der Verkehrssicherung auch bei Treppen in der Regel dann geboten, wenn diese baupolizeilichen Vorschriften widersprechen, die gerade zum Zweck der Sicherheit der Benutzer erlassen worden sind. Auch hierbei ist jedoch dem Alter des zu beurteilenden Gebäudeteiles Rechnung zu tragen: ein Abweichen von baupolizeilichen Regelungen indiziert grundsätzlich nur dann eine besondere Sicherungsbedürftigkeit, wenn die einschlägige Vorschrift zum Zeitpunkt der Errichtung oder Veränderung des Bauwerkes oder Bauteiles bereits gegolten hat. Anderenfalls würde eine lückenlose Anpassung sämtlicher alten Gebäudeteile an verschärfte bauordnungsrechtliche Vo...

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